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Erosion der Unternehmensmitbestimmung

Neue Studie: Höchste Zeit für die von der Regierung angekündigten Reformen

Erosion der Unternehmensmitbestimmung – mindestens 2,4 Millionen
Beschäftigten bleibt die paritätische Mitbestimmung in Unternehmen
vorenthalten

Die deutschen Mitbestimmungsgesetze sollen die demokratische Beteiligung
von Arbeitnehmer*innen in Unternehmen sichern. Sie sind aber äußerst
lückenhaft und bedürfen dringend einer Reform, wie eine neue Studie zur
Erosion der Unternehmensmitbestimmung des Instituts für Mitbestimmung und
Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung belegt.*
Wissenschaftliche Forschung zeigt immer wieder, dass paritätische
Mitbestimmung in Unternehmen einen hohen Wert für die soziale
Marktwirtschaft Deutschlands bietet und auch messbare ökonomische Vorteile
bringt. Trotz dieser positiven Effekte steigt die Zahl der Unternehmen,
die Mitbestimmung umgehen oder bewusst vermeiden. So wurde 2022 mindestens
2,45 Millionen Beschäftigten in Großunternehmen eine paritätische
Mitbestimmung in den Aufsichtsräten versagt, ergibt die neue
I.M.U.-Studie. Damit waren rund 300.000 Menschen mehr betroffen als noch
2019. Viele Arbeitgebende nutzen rechtliche Lücken, über die Mitbestimmung
legal umgangen werden können, weitere ignorieren sogar geltende Gesetze,
weil dies nicht mit wirksamen Sanktionen bewehrt ist. Im Ergebnis besaßen
zuletzt von 1084 Unternehmen, die in Deutschland mehr als 2000
Beschäftigte haben und keinem „Tendenzschutz“ unterliegen, lediglich 656
den nach den Mitbestimmungsgesetzen ab dieser Größe vorgesehenen
paritätisch besetzten Aufsichtsrat. Das entspricht einer Quote von nur
noch rund 60 Prozent mitbestimmter Unternehmen, während es 2019 noch gut
67 Prozent waren. Von den somit 428 Großunternehmen ohne paritätische
Mitbestimmung bedienten sich 256 mit insgesamt mehr als 1,7 Millionen
Beschäftigten in Deutschland legaler juristischer Kniffe zur
Mitbestimmungsvermeidung – sei es gezielt oder als Nebeneffekt. Weitere
172 mit mehr als 720.000 Beschäftigten ignorierten rechtswidrig die
Gesetze (siehe auch Abbildung 1 und 2 in der pdf-Version dieser PM; Link
unten).

„Mindestens vier von zehn Großunternehmen verweigern ihren Beschäftigten
mittlerweile also die paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat – sei es,
indem sie nationale Gesetzeslücken oder durch europäisches Recht
geschaffene Vermeidungsmöglichkeiten gezielt oder als Nebeneffekt
ausnutzen, sei es indem sie die gesetzlichen Vorschriften schlicht
ignorieren“, konstatiert Studienautor Dr. Sebastian Sick. Gegenüber 2019
ist die Zahl drastisch gestiegen – um mindestens 121 Unternehmen. Legale
und illegale Mitbestimmungsvermeidung haben wesentlich dazu beigetragen,
dass mittlerweile 111 Unternehmen weniger paritätisch mitbestimmt sind als
vor gut 20 Jahren, so Sick. Auch im wichtigsten deutschen Börsensegment
ist der Trend deutlich sichtbar: Hatte 2015 im damaligen DAX30 lediglich
ein Unternehmen keine paritätische Mitbestimmung, so waren es bei der
Bildung des DAX40 im Jahr 2021 zwölf. „Das deutsche Modell der
Sozialpartnerschaft ist hierdurch ernsthaft gefährdet“, warnt der
I.M.U.-Unternehmensrechtsexperte, der auch Mitglied der
Regierungskommission zum Deutschen Corporate Governance-Kodex ist. Damit
werde auch eine wichtige Ressource der deutschen Wirtschaft geschwächt.
Denn Untersuchungen zeigen, dass mitbestimmte Unternehmen gerade in
Umbruch- und Krisenzeiten erfolgreicher sind, dass sie ökologisch und
sozial nachhaltiger agieren und mehr investieren (weitere Informationen
unten).

Die Bundesregierung hat nach der letzten Bundestagswahl erklärt, einige
der Gesetzeslücken schließen zu wollen, die es aktuell beispielsweise
leicht machen, über die Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft
(SE) die Mitbestimmung von Beschäftigten zu verhindern. „Noch sind den
Ankündigungen im Koalitionsvertrag keine Taten gefolgt. Doch wenn die
Vorhaben umgesetzt würden, wären das zweifellos Schritte in die richtige
Richtung“, betont Jurist Sick. „Sie reichen allerdings nicht aus. Einzelne
Schlupflöcher zu schließen, während andere, ähnlich große, offen bleiben,
würde zu einem Ausweichen auf andere Vermeidungsstrategien führen – oder,
solange Verstöße gegen die Mitbestimmungsgesetze nicht ernsthaft
sanktioniert werden, zum Ignorieren der Mitbestimmungspflicht.“
Anforderungen an ein wirksames Konzept zur Sicherung der Mitbestimmung hat
das I.M.U. in seiner Studie formuliert. Neben notwendigen Reformen der
nationalen Gesetzgebung zählen dazu auch Verbesserungen auf europäischer
Ebene (mehr dazu am Ende der PM).

– Familienunternehmen hebeln Mitbestimmung besonders häufig aus –

Basis der neuen Studie sind Datenanalysen, die das Institut für
Rechtstatsachenforschung zum Deutschen und Europäischen Unternehmensrecht
der Universität Jena im Auftrag des I.M.U. vorgenommen hat. Ein Team unter
Leitung von Prof. Dr. Walter Bayer hat dafür unter anderem
Unternehmensdatenbanken, Jahresabschlussdaten und Handelsregister
umfangreich ausgewertet. Trotz der bundesweit einmaligen intensiven
Recherche bleibe eine Dunkelziffer, die neuen Zahlen zur
Mitbestimmungsvermeidung beschreiben also eher die Untergrenze des
Problems, betonen die Fachleute.

Auch so zeigt die Studie mit Datenstand 2022: In mehreren Branchen,
darunter Facility Management, Leiharbeit, im Handel oder
Gesundheitsbereich, hebelt sogar eine Mehrheit der Großunternehmen die
paritätische Mitbestimmung legal oder illegal aus. So sind allein in
großen Handelsunternehmen mindestens 930.000 Beschäftigte betroffen, in
dieser Branche haben gerade einmal 28 Prozent der Firmen mit mehr als 2000
Beschäftigten einen mitbestimmten Aufsichtsrat. In der Industrie ist die
Quote der Unternehmen, die eine Form der Mitbestimmungsvermeidung oder
-ignorierung betreiben, mit 26 Prozent zwar unterdurchschnittlich. Aber
auch dort summieren sich die Zahlen auf mindestens 98 Unternehmen mit
mindestens 360.000 Beschäftigten (Abbildungen 2 und 3 in der pdf-Version).

Besonders häufig umgehen oder ignorieren Familienunternehmen die
Mitbestimmungsgesetze: 66 Prozent der Unternehmen, die Mitbestimmung über
Gesetzeslücken vermeiden, sowie 60 Prozent der Ignorierer sind in
Familienbesitz.

Bei mittelgroßen Unternehmen, in deren Aufsichtsräten die Beschäftigten
ein gesetzliches Anrecht auf ein Drittel der Mandate haben, setzt sich das
Problem fort, zeigt die Studie: Rund 1470 Unternehmen in Deutschland haben
501 bis 2000 Beschäftigte im Inland und den für diese Größenklasse
gesetzlich vorgesehenen drittelbeteiligten Aufsichtsrat. Für weitere mehr
als 800 Unternehmen gilt die Drittelbeteiligung zwar ebenfalls, sie
ignorieren aber gesetzeswidrig die Vorschrift. Sie haben keine
Konsequenzen in Form von wirksamen Sanktionen zu befürchten. Extrem
lückenhaft ist das Gesetz zudem bei seinem Geltungsbereich. Durch die so
genannte „Drittelbeteiligungslücke“ im Gesetz sind rund 750 Unternehmen
ähnlicher Größe erst gar nicht erfasst.

– Mitbestimmung zu vermeiden, ist schlecht für den Standort –

„Wenn demokratische Rechte nur auf dem Papier stehen, stellt das sowohl
die Glaubwürdigkeit eines Rechtsstaats in Frage als auch die soziale
Marktwirtschaft. Mitbestimmung auszuhöhlen ist politisch und ökonomisch
ein Riesenfehler, eine Hypothek für die Zukunft der sozial-ökologischen
Transformation“, sagt Dr. Daniel Hay. Nur durch die Sicherung und
Weiterentwicklung von Mitbestimmung werde ein Vorteil für den Standort
Deutschland erhalten, betont der wissenschaftliche Direktor des I.M.U.
Zahlreiche ökonomische Studien belegen, dass Unternehmen, in denen die
Beschäftigten über Betriebsräte und im Aufsichtsrat mitbestimmen, erstens
bessere Arbeitsbedingungen bieten. Zweitens weisen mitbestimmte
Unternehmen bei zentralen betriebswirtschaftlichen Kennzahlen bessere
Ergebnisse auf, sie verfolgen häufiger ein forschungs- und
qualitätsorientiertes Geschäftsmodell, investieren mehr und betreiben
seltener legale Steuervermeidung. Und sie agieren messbar nachhaltiger als
Unternehmen ohne Mitbestimmung, wie eine aktuelle Auswertung ökologischer
und sozialer Kennziffern der ESG-Indizes zeigt (siehe auch den
Forschungsüberblick unten für alle Befunde).

Ganz besonders in Phasen von Krisen und Transformationsdruck schneiden
Unternehmen besser ab, wenn Arbeitnehmer*innen im Aufsichtsrat
mitentscheiden, hat eine Studie von Ökonomieprofessoren der Universitäten
Göttingen und Marburg am Beispiel der globalen Finanz- und
Wirtschaftskrise ergeben. „Mitbestimmung ist kein Nice-to-Have. Wir
brauchen sie, wenn wir auch künftig erfolgreich sein wollen“, sagt Hay.

Detaillierte Ergebnisse der Studie:

– Verbreitete Konstruktionen legaler Umgehung: Auslandskapitalgesellschaft
& Co. KG, Einfrier-SE, Familienstiftungen –

Die neue Studie gibt, mit Stand 2022, einen detaillierten Überblick über
die fragwürdigen Strategien und Instrumente, mit denen Unternehmen die
Mitbestimmung verhindern (Abbildung 4). Ein verbreitetes Vehikel, um die
Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat über eine juristische Lücke legal
zu unterlaufen, sind gesellschaftsrechtliche Konstruktionen mit
ausländischen Rechtsformen wie beispielsweise die B.V. & Co. KG oder die
Nutzung von österreichischen GmbHs als persönlich haftende
Gesellschafterinnen von deutschen KGs. Hintergrund ist folgender: Die
deutschen Mitbestimmungsgesetze stammen aus einer Zeit, als die
weitgehende europäische Niederlassungsfreiheit noch nicht absehbar war.
Deshalb beziehen sie sich in ihrem Wortlaut ausschließlich auf Unternehmen
in deutscher Rechtsform. Kombinieren Firmen deutsche und ausländische
Rechtsformen, fallen sie nach herrschender juristischer Meinung allein
deshalb nicht mehr unter das Mitbestimmungsgesetz. Das ist nach
europäischem Recht auch Firmen möglich, die ihre Hauptverwaltung und den
operativen Schwerpunkt ihrer Geschäfte in Deutschland haben.

2022 firmierten mindestens 72 Unternehmen mit jeweils mehr als 2000
inländischen Beschäftigten in so einer hybriden Rechtsform als
Auslandskapitalgesellschaft & Co. KG, zehn mehr als noch 2019. Mindestens
399.000 dort Beschäftigten blieb dadurch die paritätische Mitbestimmung im
Aufsichtsrat versagt (siehe Abb. 8 in der Studie; Link unten). Als
Beispiele nennt das I.M.U. etwa den Textilhändler C&A Mode, den
Fleischproduzenten Tönnies, den Landmaschinenbauer John Deere oder den
Schiffsbauer Meyer Werft.

– Nur jede sechste große SE ist paritätisch mitbestimmt –

Ein weiteres großes und immer häufiger genutztes Schlupfloch, durch das
Mitbestimmung umgangen werden kann, stellen die lückenhaften Vorschriften
zur Europäischen Aktiengesellschaft (SE) dar. Es wird nach der
I.M.U.-Analyse oft von jungen, wachsenden Unternehmen angewandt. Die
Mitbestimmung wird einfach ausgehebelt, indem die Umwandlung zur SE
erfolgt, bevor die Beschäftigtenzahlen erreicht sind, ab denen die
nationalen Gesetze greifen. Immer wieder werden Firmen kurz vor Erreichen
der entsprechenden Schwellenwerte von 501 inländischen Mitarbeitern für
eine Drittelbeteiligung oder 2.001 für die paritätische Mitbestimmung zur
SE umgewandelt. Da dabei bislang das Vorher-Nachher-Prinzip gilt, der
Status quo ganz ohne oder mit geringerer Mitbestimmung also „eingefroren“
wird, können sich Firmen auf diese Weise unwiderruflich aus dem System der
Mitbestimmung verabschieden – auch wenn sie später deutlich mehr
Beschäftigte haben und weit über den Schwellenwerten liegen.

Die neue Untersuchung geht für 2022 von 68 Unternehmen mit
zusammengenommen mindestens 300.000 Beschäftigten in Deutschland aus, die
als SE mit mehr als 2000 Beschäftigten im Inland nicht paritätisch
mitbestimmt sind. Prominente Beispiele sind der Autohersteller Tesla, der
Impfstoffhersteller BioNtech, der Personaldienstleister Kötter,
Flaschenpost, das Technologieunternehmen Freudenberg, der
Baugerätehersteller Wacker Neuson sowie mit dem Wohnungsunternehmen
Vonovia und dem Versandhändler Zalando sogar zwei DAX40-Konzerne.
Besonders pikant: Ein Drittel dieser „Europa-AGs“ hat nahezu
ausschließlich im Inland Beschäftigte. Zwei Drittel dieser „Inlands-SE“
befinden sich wiederum in Familienbesitz, beispielsweise Sixt, Deichmann,
oder der Krankenhauskonzern Schön Klinik. Eine Variante ist die Rechtsform
der SE & Co. KG. Insgesamt zählen die Forschenden zusätzlich mindestens 35
SE & Co. KG mit mindestens 179.000 Beschäftigten. Diese Gruppe ist in den
letzten Jahren besonders schnell gewachsen.

Zusammengenommen haben also mindestens 103 SE bzw. SE-basierte Unternehmen
mit jeweils mehr als 2000 inländischen Beschäftigten keinen paritätisch
mitbestimmten Aufsichtsrat. Das sind fünf von sechs großen deutschen SEs,
in denen zusammen fast 500.000 Menschen arbeiten. Beim restlichen Sechstel
handelt es sich fast ausschließlich um etablierte Großunternehmen, die
schon vor der Umwandlung mitbestimmt waren. „Bei der derzeitigen
Rechtslage ist die SE ein Kernproblem für die Partizipation im
Aufsichtsrat“, konstatiert Unternehmensrechtler Sick.

Weitere 81 Unternehmen mit zusammen mehr als 840.000 Beschäftigten in
Deutschland ordnen die Expert*innen verschiedenen anderen
Rechtskonstruktionen zu, bei denen Mitbestimmungsrechte von Beschäftigten
legal blockiert werden. Insbesondere bei Einzelhandelsunternehmen beliebt
sind Konstruktionen über (Familien-)Stiftungen. Damit operieren etwa die
Discounter Aldi, Lidl, Teile der EDEKA-Gruppe, aber auch der
Schraubenhersteller Würth.

– Hunderte Unternehmen ignorieren Mitbestimmungsrechte –

Neben den 256 legalen Mitbestimmungsvermeidenden zählen die Forschenden
für 2022 mindestens 172 Unternehmen mit je mindestens 2000 inländischen
Beschäftigten, die qua Größe und Rechtsform zwar gesetzlich verpflichtet
sind, einen paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrat einzurichten, diese
Vorgabe aber schlicht ignorierten. Auch diese Gruppe ist stark gewachsen –
seit 2019 um fast 60 Unternehmen. Als Beispiele für Unternehmen, die die
Mitbestimmung, soweit nach den genutzten Quellen ersichtlich, ignorieren,
nennt die Studie die Drogeriekette Rossmann, IKEA Deutschland oder den
Lebensmittelhändler Alnatura. Hinzu kommen, wie beschrieben, mindestens
rund 800 mittelgroße Unternehmen, die ihren Beschäftigten die
Drittelbeteiligung im Aufsichtsrat verwehren.

Obwohl sie geltende Gesetze brechen, müssen Unternehmen, die
Mitbestimmungsrechte ignorieren, bislang keine ernsthaften Sanktionen
fürchten. Arbeitnehmer*innen können zwar ein so genanntes Statusverfahren
anstrengen, um gerichtlich feststellen zu lassen, dass das Unternehmen zur
Mitbestimmung verpflichtet ist. Doch dann könne es „immer noch von den
vielfältigen Vermeidungsmodellen Gebrauch machen“, schreibt Sick. So
wechselte beispielsweise die deutsche Tochter des Textilhändlers H&M
gerade zu dem Zeitpunkt in die hybride Unternehmensrechtsform einer B.V. &
Co. KG, als die Betriebsräte einen mitbestimmten Aufsichtsrat durchsetzen
wollten. Ähnliches sei bei der Modekette Esprit passiert.

– Wie Gesetzeslücken geschlossen werden können  –

Der Standortvorteil Mitbestimmung sei durch die vielen
Umgehungsmöglichkeiten und Verstöße in Gefahr, warnen die I.M.U.-Experten
Sick und Hay. Dabei habe der Gesetzgeber sowohl auf deutscher als auch auf
europäischer Ebene etliche Möglichkeiten, der Mitbestimmung Geltung zu
verschaffen. Sie empfehlen als zentrale Reformen:

• Bei der Europäischen Aktiengesellschaft SE, und analog bei einigen
ähnlichen, weniger bekannten Modellen, solle die Ampelkoalition ihre
Ankündigung wahrmachen und gewährleisten, dass das „Einfrieren“ auf einem
Status ohne oder mit geringer Mitbestimmung durch taktische Umwandlung in
einem frühen Stadium verhindert wird. Ein Rechtsgutachten von Prof. Dr.
Rüdiger Krause von der Universität Göttingen für das I.M.U. zeigt, dass
das europarechtskonform möglich ist. Konkret heißt das: Steigt nach
erfolgter Umwandlung in eine SE die Beschäftigtenzahl im Laufe der Zeit
über die Schwellenwerte von 500 bzw. 2000 Beschäftigten, muss es die
Chance geben, dass Mitbestimmungsrechte entsprechend mitwachsen.

• Eine gesetzlich bindende Klarstellung, dass die Mitbestimmungsgesetze
für alle kapitalistisch strukturierten Unternehmen mit mehr als 500
Beschäftigten in Deutschland gelten. Anders als heute könnte dann etwa die
Mitbestimmung nicht mehr ausgehebelt werden, wenn ein
Wirtschaftsunternehmen in einer Rechtskonstruktion mit einer Stiftung
firmiert oder eine hybride Konstruktion mit deutscher und ausländischer
Rechtsform wählt. Auch das ist europarechtskonform möglich, so das I.M.U.
Der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Achim Seifert, Juraprofessor an der
Universität Jena, hat dafür einen Gesetzentwurf ausgearbeitet.

• Schließung der „Drittelbeteiligungslücke“. Diese führte beispielsweise
dazu, dass im Wirecard-Aufsichtsrat keine Beschäftigtenvertreter*innen als
Kontrollinstanz vertreten waren. Die Lücke beruht darauf, dass im
Drittelbeteiligungsgesetz keine automatische Konzernzurechnung von
Beschäftigten aus Tochterunternehmen vorgesehen ist. Ein Konzern bleibt
daher ohne jede Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat, wenn er sich in
eine Holding und verschiedene Töchter aufgliedert, die jeweils maximal 500
Beschäftigte haben und die nicht über formale „Beherrschungsverträge“
miteinander verbunden sind – auch wenn die verschiedenen abhängigen
Unternehmen zusammengenommen weit mehr als 500 Beschäftigte haben. Auch
hier hat die Bundesregierung Verbesserungen versprochen.

• Unternehmen, die Mitbestimmungsgesetze rechtswidrig nicht anwenden,
müssen effektiv sanktioniert werden bzw. die Durchsetzung der
Mitbestimmung muss erleichtert werden.

• Die EU-Kommission sollte eine Rahmenrichtlinie verabschieden, die
europaweit generelle Mindeststandards für die Arbeitnehmerpartizipation
setzt. Die Beteiligung der Arbeitnehmer*innen müsse als Kernelement der
europäischen Corporate Governance verankert werden.

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Statement - Europawahlen: Ambitionierte Agenda für ein ökonomisch starkes Europa wird schwieriger, aber nicht unmöglich

Prof. Dr. Moritz Schularick (https://www.ifw-kiel.de/de/expertinnen-und-
experten/moritz-schularick/
), Präsident des IfW Kiel, kommentiert die
vorläufigen Ergebnisse der Europawahlen:

„Die Ergebnisse der Europawahl deuten auf eine schwierige Mehrheitsfindung
für eine mögliche zweite Amtszeit von Kommissionspräsidentin von der Leyen
hin. Insbesondere das Erstarken von populistischen Parteien ist eine
Herausforderung für notwendige Integrationsschritte, um die Europäische
Union (EU) im aktuellen geopolitischen Umfeld zu stärken.

In einer stürmischen Zeit für die Weltwirtschaft kann nur eine starke EU
europäische Interessen mit Nachdruck vertreten. Europa braucht die
Vollendung der Kapitalmarkt- und Bankenunion sowie mutige Schritte hin zum
Aufbau einer europäischen Verteidigung. Die ökonomische und militärische
Sicherheit Europas und die Weiterentwicklung des Binnenmarktes sollten im
Zentrum der Arbeit der neuen Kommission stehen.

Das starke Abschneiden insbesondere populistischer und europaskeptischer
Parteien macht dies nicht einfacher, aber auch nicht unmöglich. Die pro-
europäischen Kräfte müssen jetzt umso mehr zusammenstehen und dürfen nicht
den populistischen Sirenengesängen nachgeben. Die Forschung des IfW Kiel
zeigt, dass Populismus ökonomisch extrem teuer ist und sich negativ auf
das Wirtschaftswachstum auswirkt. Das sind Kosten, die wir uns nicht
leisten können.“

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Parteien zur Europawahl entdecken Ab jetzt online: „Europa Party Check“

Zur Europawahl 2024 hat Prof. Dr. Constantin Wurthmann,
Politikwissenschaftler an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-
Nürnberg (FAU), in Kooperationen mit Prof. Dr. Christian Stecker von der
TU Darmstadt und Dr. Philipp Thomeczek von der Universität Potsdam eine
innovative Wahlhilfe entwickelt: den „Europa Party Check“. Dieses neue
Tool ist ab jetzt online verfügbar und bietet Wählerinnen und Wählern eine
spannende Möglichkeit, ihre politischen Präferenzen zu entdecken.

In 15 Fragen zum Ergebnis

Der „Europa Party Check“ führt die Nutzerinnen und Nutzer durch 15
ausgewählte Fragen zu aktuellen politischen Themen wie staatlichen
Eingriffen in die Wirtschaft, Zuwanderung, die Erweiterung der
Europäischen Union und Minderheitenrechte. Am Ende erhalten die
Nutzer/-innen eine Ergebnisanzeige, die ihre Übereinstimmung mit den
verschiedenen Parteien in Prozent darstellt. Der „Europa Party Check“
zeigt zusätzlich auch die Übereinstimmungen in bestimmten Politikfeldern
an. „Wir möchten ein möglichst differenziertes Bild schaffen, das es den
Wählern ermöglicht, sich gezielt mit einzelnen Themenbereichen
auseinanderzusetzen“, erklärt Constantin Wurthmann, der an der FAU aktuell
den Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft vertritt.

Mit freiwilliger Datenspende die Forschung unterstützen

Nach der Ergebnisanzeige haben die Nutzer/-innen zwei Möglichkeiten: Sie
können ihre Daten vollständig löschen lassen oder durch die Beantwortung
weiterer Fragen, beispielsweise zur eigenen Wahlabsicht, die
wissenschaftliche Forschung unterstützen. „Wir hoffen, dass unser Tool
zusätzliches Interesse und Aufmerksamkeit für die bevorstehende Wahl
weckt“, erklärt Wurthmann.

Direkt zum „Europa Party Check“:  www.europartycheck.de

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Politik braucht Forschung – Wissenschaftskommunikation als Schlüssel für politische Gestaltung

Gestern fand im Bürgerhaus Bilk die Veranstaltung „Politik braucht
Forschung braucht Wis-senschaftskommunikation“ statt, die von der
Johannes-Rau-Forschungsgemeinschaft (JRF) und dem Center for Advanced
Internet Studies (CAIS) aus Bochum organisiert wurde.

Es wurde diskutiert, was Politiker:innen zur Unterstützung
evidenzbasierter Entscheidungen benötigen und wie Bürger:innen
Informationen zur zukunftsorientierten Gestaltung ihrer Städte finden
können.

Am 13. März wurde im Bundestag debattiert, dass Wissenschaftskommunikation
„Wissen als Grundlage für demokratische Prozesse anbietet“, Resilienz und
Zukunftsfähigkeit in der Gesellschaft fördert und das Vertrauen in die
Wissenschaft stärkt. Im Mittelpunkt stand deswegen gestern die Frage: Wie
sollte Wissenschaftskommunikation arbeiten, um für politische
Entscheider:innen eine belastbare, forschungsbasierte Grundlage zu
schaffen?

Das Wuppertal-Institut, das ILS – Institut für Landes- und
Stadtentwicklungsforschung aus Dortmund (beide Mitglieder der JRF) und das
CAIS zeigten in kurzen Beiträgen, wie Forschung sachlich und relevant,
aber auch zugänglich und verständlich vermittelt werden kann. Beispiele
hierfür waren die 5-Minuten-Stadtforschung, „Pop-up Citizen Labs“, der
Podcast „Zukunftswissen.fm“ und das Wissenschaftsfestival „Press Play“ in
Bochum.

Die Schirmherrin der Veranstaltung, Wissenschaftsministerin Ina Brandes
betonte: „Künstliche Intelligenz, Supercomputer und individualisierte
medizinische Behandlung werden das Leben der Menschen einschneidend
verändern – und besser machen. Gleichwohl werden Umbrüche wie diese immer
auch von Skepsis und Vorbehalten begleitet sein. Umso wichtiger ist eine
klare Wissenschaftskommunikation, die offen und transparent Chancen und
Risiken neuer Technologien benennt. Das schafft Vertrauen in den
Fortschritt und hilft Politikerinnen und Politikern die richtigen
Entscheidungen zu treffen.“

In einer Podiumsdiskussion führte WDR-Moderator Thilo Jahn durch eine
lebendige Debatte mit Julia Eisentraut (MdL), Ramona Fels (JRF), Dr.
Matthias Begenat (CAIS) und Theresa von Bischopink (ILS). Sie betonten,
wie notwendig es für den erfolgreichen Forschungstransfer ist:

- komplexe Forschungsergebnisse verständlich zu machen,
- Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken
- Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Politik zu fördern
- Ressourcen für Wissenschaftskommunikation zu sichern
- Erreichbarkeit und Zugänglichkeit für Bürger:innen zu verbessern
- und die Schnelligkeit der Entscheidungsprozesse zu berücksichtigen

Dr. Matthias Begenat (CAIS) erklärte: „Forschungsinstitutionen spielen
eine zentrale Rolle bei der professionellen und kontinuierlichen
Wissenschaftskommunikation. Wenn Forschung einen Mehrwert für Politik und
Gesellschaft bieten und effektive Lösungsansätze aufzeigen soll, muss sie
sich mit ihrer Wissenschaftskommunikation auf die Logik und Bedarfe von
Politiker:innen und Bürger:innen einlassen.“ Ramona Fels (JRF) ergänzte:
„Mit Wissenschaftskommunikation schaffen wir Transparenz und Vertrauen.
Sie ist unerlässlich, um die Akzeptanz und das Verständnis für
wissenschaftliche Erkenntnisse in der Bevölkerung zu erhöhen.
Dachorganisationen wie die JRF sind neben den einzelnen
Forschungsinstituten ein weiteres Sprachrohr zwischen Wissenschaft und
Gesellschaft.“

Weitere Informationen und Impressionen zur Veranstaltung finden Sie unter:
https://www.cais-research.de/politik-forschung-wisskomm/

Über die JRF

Die Johannes-Rau-Forschungsgemeinschaft (JRF) ist die
Forschungsgemeinschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. Sie umfasst 16
landesgeförderte, wissenschaftliche Institute mit rund 1.600
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in NRW und einem Jahresumsatz von über
137 Millionen Euro. Gegründet hat sich der gemeinnützige Verein 2014 als
Dachorganisation für rechtlich selbstständige, außeruniversitäre und
gemeinnützige Forschungsinstitute.

Die JRF-Institute arbeiten fachübergreifend zusammen, betreiben eine
gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit, fördern wissenschaftlichen Nachwuchs und
werden von externen Gutachterinnen und Gutachtern evaluiert. Neben den
wissenschaftlichen Mitgliedern ist das Land Nordrhein-Westfalen ein
Gründungsmitglied, vertreten durch das Ministerium für Kultur und
Wissenschaft.

Weitere Informationen zur JRF unter: www.jrf.nrw

Über das CAIS

Das Land Nordrhein-Westfalen fördert das Center for Advanced Internet
Studies (CAIS) in Bochum seit April 2021 langfristig als zentrales
Institut für Digitalisierungsforschung. Durch evidenzbasierte
Lösungsvorschläge trägt das CAIS zur Gestaltung des digitalen Wandels im
Interesse der Menschen bei. Gegründet wurde das CAIS als
Wissenschaftskolleg Anfang 2017 und vergibt seitdem Fellowships an
nationale und internationale Gastwissenschaftler:innen im Bereich der
Digitalisierungsforschung. Geforscht wird am CAIS in den
Forschungsprogrammen „Digitale demokratische Innovationen“ und
„Bildungstechnologien und Künstliche Intelligenz“. Im April 2024 hat das
dritte Forschungsprogramm „Design vertrauenswürdiger Künstlicher
Intelligenz“ mit der Arbeit begonnen. Die Forschungsprogramme verzahnen
die Fächerwelten von Sozial- und Geisteswissenschaften bis zur Informatik
und erproben Forschungsergebnisse in der Praxis. Weitere Informationen zum
CAIS unter: www.cais-research.de

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