Zum Hauptinhalt springen

Zehn Freiburger Thesen zum Grundeinkommen

Masterclass von Claus Leggewie am Freiburger FRIBIS zeigt Potenziale eines
Grundeinkommens zur Krisenbewältigung auf

„Ein bedingungsloses Grundeinkommen kann ein sehr wirkungsvolles
Instrument sein, um vielfältige soziale, ökonomische und ökologische
Krisen zu bewältigen, mit denen unsere Gesellschaften zunehmend
konfrontiert werden“, sagt der Politologe Prof. Dr. Claus Leggewie
(Universität Gießen), der als Gastprofessor am Freiburger Institut zur
Erforschung des Grundeinkommens (FRIBIS) eine Masterclass mit 14
Doktorand*innen und Masterstudierenden zu dem Thema durchgeführt hat.
Ergebnis der Masterclass sind zehn Thesen, die Potenziale eines
bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) zur Krisenbewältigung und
-prävention aufzeigen. Die Thesen sollen als Impuls in Wissenschaft,
Politik und Gesellschaft wirken.

Durch ein BGE würde jede*r Bürger*in eines Gemeinwesens lebenslang ein
partizipatives Einkommen erhalten. Das Grundeinkommen ist als
individueller Rechtsanspruch weder an eine Erwerbsarbeit gebunden noch an
eine Vorab-Prüfung der Bedürftigkeit nach Einkommen und Vermögen, Herkunft
und Bildung, Beruf und Alter.

Die zehn Freiburger Thesen lauten:

1. Das BGE unterstützt den Wunsch nach einer Selbstbestimmung, die aus
Freiheit und Verantwortung für sich selbst und andere erwächst.
2. Das BGE ist in Teilen bereits Realität (z. B. in Form von Kindergeld).
Die Weiterentwicklung ist ein andauernder „realutopischer“ Prozess. Die
Debatte darum verhandelt, welche Zukunftsvorstellungen wir umsetzen
wollen.
3. Eine Grundeinkommensgesellschaft kann Menschen mehr Handlungsspielräume
verschaffen, um sich zu bewähren, zu entfalten und mit ihren verschiedenen
Talenten einzubringen.
4. Das garantierte Grundeinkommen eröffnet allen Geschlechtern
Möglichkeiten für emanzipatorische Prozesse, verringert
Abhängigkeitsverhältnisse (mindert also die „Macht über“) und fordert
gleichzeitig zur Verantwortung für sich und andere auf (ermutigt also zu
„Macht zu“).
5. Der Freiheitsspielraum, den ein garantiertes Grundeinkommen eröffnen
soll, wird nicht erst durch einen revolutionären Bruch geschaffen. Er
beruht auf Experimenten und Maßnahmen, die bereits jetzt erfolgen und die
in allen politischen Lagern und Milieus anschlussfähig sind.
6. Sinnstiftung findet nicht erst und nicht nur im Bereich der Freizeit
statt, sondern auch in der professionellen, bezahlten (Lohn-)Arbeit der
generativen, sozialen und materiellen Reproduktion.
7. Das BGE verstärkt vorhandene Tendenzen zu kürzeren Tages-, Jahres- und
Lebensarbeitszeiten und  kann dabei vor Verarmung und
Massenarbeitslosigkeit schützen.
8. Flexible Arbeitsverhältnisse sind nur erwünscht, wenn sie die
Selbstbestimmung der Arbeitnehmer*innen stärken und auf Augenhöhe
ausgehandelt werden. Voraussetzung dafür ist die (hohe) Qualifikation und
Anerkennung der Arbeitskraft, die wiederum durch kollektive
Arbeitsverträge geschützt werden.
9. Auch im Hinblick auf die notwendige (weltweite) ökologische
Transformation bietet das BGE Möglichkeiten, lokale und globale
Initiativen der Transformation zu mehr Nachhaltigkeit zu stärken und zu
fördern.
10. Soziale Innovation muss von der Gesellschaft, von der Mehrheit der
Bürger*innen getragen werden. Ein BGE gegen den Willen der Mehrheit der
Bevölkerung (re)produziert nur Entmündigung und hierarchische
Machtverhältnisse.

Für die Nachwuchswissenschaftler*innen des FRIBIS war die Zusammenarbeit
mit dem Politologen Claus Leggewie überaus bereichernd. Die zehn
Freiburger Thesen zum bedingungslosen Grundeinkommen halten die Ergebnisse
dieser Zusammenarbeit fest und tragen sie in eine breitere Öffentlichkeit.
Sowohl Prof. em. Dr. Claus Leggewie als auch der leitende Direktor des
FRIBIS, Prof. Dr. Bernhard Neumärker, stehen für Interviews zur Verfügung.

Die zehn Thesen sind auf der Webseite des FRIBIS als Download verfügbar:
https://www.fribis.uni-freiburg.de/2022/zehn-thesen-zum-grundeinkommen

Über das Freiburger Institut zur Erforschung des Grundeinkommens:
Das FRIBIS – Freiburg Institute for Basic Income Studies – ist ein
Kompetenzverbund von sechs Instituten an der Albert-Ludwigs-Universität
Freiburg zur Erforschung des bedingungslosen Grundeinkommens.

  • Aufrufe: 123

Mehr Leistung im ÖPV für weniger Geld? VHB expert Jörn Schönberger zum 9 -Euro-Ticket aus Sicht der BWL

Das im Frühjahr 2022 eingeführte „9-Euro-Ticket“ wird als Beschleuniger
der sog. „Verkehrswende“ gehypt. Dies weckt in der Öffentlichkeit
Hoffnungen auf eine kurz- bis mittelfristige Reduktion der Preise im
öffentlichen Personenverkehr (ÖPV). Diese Hoffnung ist jedoch aus der
Perspektive der Verkehrsbetriebslehre nicht gerechtfertigt, sagt Jörn
Schönberger, Lehrstuhlinhaber der Professur für Verkehrsbetriebslehre und
Logistik der Technischen Universität Dresden.

Der Öffentliche Personenverkehr betrifft uns alle
Die Fahrgastbeförderung im ÖPV verursacht schon jetzt ökonomische Defizite
für die durchführenden Verkehrsunternehmen. Deren durchschnittlicher
Kostendeckungsgrad liegt deutschlandweit bei ca. 78%. In Form von
Verlustübernahmen durch die öffentliche Hand können diese heute
ausgeglichen werden, da der ÖPV Teil der Daseinsvorsorge ist. Für die
Ausweitung des ÖPV-Angebots und signifikant steigende Fahrgastzahlen
müssten infra-strukturelle Engpässe beseitigt, das „Fahren auf Verschleiß“
durch aufwändige Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen vermieden werden.
Die Finanzierung dieser Investitionen in die Infrastruktur ist ebenfalls
Aufgabe der öffentlichen Hand, das heißt, der Allgemeinheit.

Mehr Leistung braucht mehr Ressourcen – auch im Öffentlichen
Personenverkehr
Insbesondere für die Sicherstellung der Klimaverträglichkeit der
steigenden ÖPV-Leistungen muss in die Erneuerung und Modernisierung
bestehender Fuhrparks und Werkstatt-Infrastrukturen investiert werden.
Laut einer Studie des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen wird hierfür
je Einwohner mit einer Steigerung der Finanzierungslast von 120 EUR (2018)
auf fast 300 EUR (2030) zu rechnen sein. Die Erwirtschaftung von
Überschüssen, die zur Finanzierung von zusätzlichen Fahrzeugen,
betrieblicher Infrastrukturen und Personalzuwachs verwendet werden
könnten, nur durch eine Steigerung der Fahrgastzahlen ist jedoch nicht zu
erwarten, da steigende Fahr-gasteinnahmen zu einer Reduktion der
Verlustausgleiche führen.
Ob die öffentliche Hand zukünftig in der Lage und auch gewillt sein wird,
die zusätzlichen Kosten einer ÖPV-Angebotsausweitung auszugleichen, ist
unklar. Angebote wie das 9-Euro-Ticket ändern nichts an der bestehenden
strukturellen Unterfinanzierung des ÖPV in Deutschland. Sie führen aber zu
steigenden Nutzerzahlen im ÖPV und legen damit die Grenzen des derzeit
realisierbaren ÖPV-Angebots schonungslos offen.

Wo setzt die BWL an? - Zusätzliche Kosten durch zusätzliche Erlöse decken
Ein Ansatz ist die Übertragung von Konzepten aus dem Revenue Management
für ÖPV-Angebote, die über die Grundversorgung hinausgehen, um zusätzliche
Erlöse aus dem Ticketverkauf zu erzielen. Hierfür müssen aber die
gesetzlichen Rahmenbedingungen geändert werden.
Auch eine dauerhafte Beteiligung jeglicher Unternehmen an den Kosten für
die Versorgung ihrer Standorte mit hochwertigen ÖPV-Leistungen ist
denkbar. Immerhin sind Berufspendler wesentliche Nutznießer des ÖPV.
Verursacher von Lastspitzen der ÖPV-Nachfrage könnten geglättet oder
vermieden werden, indem Schicht- und Stundenpläne jeglicher Art
systematisch hinterfragt, an die heutigen Erfordernisse und Möglichkeiten
angepasst und mit Hilfe von Methoden des Operations Research mit den
Anforderungen des ÖPV integriert werden.

  • Aufrufe: 113

Ukraine Support Tracker: Neue Hilfszusagen für die Ukraine fallen auf fast null

Die Ukraine erhält aus dem Westen kaum noch neue Hilfszusagen.
Insbesondere die großen europäischen Länder wie Deutschland, Frankreich
oder Italien haben im Juli keine nennenswerten Militär- oder Finanzhilfen
angekündigt. Allerdings verkleinerte sich die Lücke zwischen zugesagter
und tatsächlich geleisteter Unterstützung. Das ergeben die Auswertungen
für das jüngste Update des Ukraine Support Trackers.

Im nun zusätzlich für den Ukraine Support Tracker erfassten Zeitraum (2.
Juli bis 3. August) sind als neue Zusagen lediglich rund 1,5 Mrd. Euro an
Unterstützungszusagen hinzugekommen. Das ist ein Bruchteil dessen, was
etwa im April oder Mai zugesagt wurde. Der größte Teil der neuen Zusagen
kommt zudem aus einem Land, Norwegen, in Form einer Finanzhilfe von 1 Mrd.
Euro. Insgesamt sind jetzt Unterstützungszusagen von 84,2 Mrd. Euro
erfasst.

„Im Juli haben die Geberländer vor allem Zugesagtes geliefert und wenig
Initiativen für neue Hilfen angestoßen“, sagt Christoph Trebesch,
Forschungszentrumsdirektor am IfW Kiel und Leiter des Teams, das den
Ukraine Support Tracker erstellt. So hat Deutschland im Juni und Juli kaum
neue Waffen zugesagt, jedoch einige bereits zugesagte Waffensysteme
geliefert. „Noch immer liegt die finanzielle wie militärische
Unterstützung deutlich unter dem Bedarf der Ukraine. Sie bleibt auch klein
im Verhältnis zu dem, was die Geber zum Teil in ihren eigenen Ländern zur
Krisenabwehr mobilisieren“, sagt Trebesch.

Von Umfang und Konstanz her zeigen sich die USA, die EU-Kommission und
Großbritannien als verlässlichste Unterstützer der Ukraine. Die Amerikaner
haben vor allem im März und Mai große Pakete beschlossen, die seitdem in
Tranchen abgerufen werden. Die Briten sind im Länderranking hinter den USA
auf Platz 2 und haben mittlerweile doppelt so hohe Hilfen zugesagt wie
Deutschland, das mit Kanada und Polen in etwa gleichauf liegt.
Bemerkenswert ist die Konstanz der Hilfen aus angelsächsischen Ländern.
„Die EU-Kommission setzt sich regelmäßig für größere Hilfspakete an die
Ukraine ein. In der Umsetzung kommt es aber auf Ebene der Mitgliedsländer
immer wieder zu Verzögerungen. Für ein Land in einer Kriegssituation sind
jedoch neben dem Umfang vor allem Verlässlichkeit und Vorhersagbarkeit der
Hilfe entscheidend“, sagt Trebesch.  Bedeutende EU-Länder wie Frankreich,
Spanien und Italien leisten bislang wenig Unterstützung oder bleiben
intransparent, was ihre Hilfen angeht.

Über den Ukraine Support Tracker

Der Ukraine Support Tracker erfasst und quantifiziert militärische,
finanzielle und humanitäre Hilfen, die der Ukraine seit dem 24. Januar
2022 (aktuell bis zum 3. August 2022) zugesagt wurden. Berücksichtigt sind
40 Länder, spezifisch die EU-Staaten, die weiteren Mitglieder der G7,
Australien, Südkorea, Türkei, Norwegen, Neuseeland, die Schweiz, die
Türkei, China, Taiwan und Indien. Erfasst sind Zusagen, die Regierungen
dieser Länder der ukrainischen Regierung gemacht haben; Hilfszusagen der
EU-Kommission und der Europäischen Investitionsbank sind separat
aufgeführt; private Spenden oder solche internationaler Organisationen wie
des IWF sind in der Hauptdatenbank nicht enthalten. Ebenso nicht
mitgezählt sind Hilfen an Nachbarländer der Ukraine wie Moldawien oder
andere Länder – etwa für die Aufnahme von Geflüchteten.

Datenquellen sind Bekanntgaben offizieller Regierungsstellen und Berichte
internationaler Medien. In Sachmitteln geleistete Hilfe wie zum Beispiel
Medizingüter, Lebensmittel oder militärisches Gerät werden anhand von
Marktpreisen oder Angaben aus früheren Hilfskampagnen geschätzt. In
Zweifelsfällen werden die höheren verfügbaren Werte angesetzt.

Der Ukraine Support Tracker wird laufend erweitert, korrigiert und
verbessert. Anregungen dazu sind sehr willkommen und können gerne an
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.  geschickt werden.

Mehr Informationen und die kompletten Daten finden Sie auf der Webseite:
https://www.ifw-kiel.de/de/themendossiers/krieg-gegen-die-ukraine/ukraine-
support-tracker/


Mehr zur Methodik des Ukraine Support Trackers steht in einem vertiefenden
Kiel Working Paper (https://www.ifw-kiel.de/index.php?id=17204).

  • Aufrufe: 116

Statement - Gasumlage: Senkung der Mehrwertsteuer verwässert gewünschten Effekt

Prof. Dr. Stefan Kooths (https://www.ifw-kiel.de/de/experten/ifw/stefan-
kooths/
), Vizepräsident und Konjunkturchef des Kiel Instituts für
Weltwirtschaft, kommentiert den Beschluss, mit Erhebung einer Gasumlage
die Mehrwertsteuer auf Gas zu senken:

„Dieser Beschluss verwässert einen wesentlichen gewünschten Zweck der
Gasumlage: Gas einzusparen. Dafür ist ein steigender Gaspreis ein
wichtiges Signal. Die Politik bremst den Preisanstieg nun für
Gasverbraucher in der Breite ab, weil sie die sozialpolitischen Folgen
fürchtet. Dafür droht sie aber, die Einsparziele zu verfehlen, die für
eine sichere Gasversorgung in den priorisierten Bereichen notwendig wären.
Ein Instrument für zwei politische Ziele verwenden zu wollen, geht
meistens schief. Das zeigt sich auch hier wieder. Die Steuersenkung ist
kein zielgenaues Instrument, um jenen zu helfen, die durch den
Preisanstieg in Nöte kommen.

Die Mehrwertsteuer auf die Gasumlage ist steuersystematisch richtig. Die
Gasumlage führt für sich genommen nicht zu höheren Gaspreisen, sondern
führt innerhalb der Gasverbraucher zu einer gleichmäßigeren Verteilung des
Preisanstiegs bzw. zieht diesen vor. Gas ist derzeit sehr knapp, deshalb
sind die Gaspreise hoch. Es ist in einer solchen Situation nicht
zweckmäßig, die Preissignale durch staatliche Eingriffe in das Steuerrecht
zu verwässern.

Um soziale Härten abzufedern, wäre es eine bessere Lösung, die
Mehrwertsteuer in voller Höhe zu erheben und die Einnahmen dann zielgenau
jenen zukommen zu lassen, die durch die steigenden Kosten in existenzielle
Nöte geraten.“

  • Aufrufe: 109