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Politik

Flucht und Migration: Scheitert Europa?

Diskussionsrunde im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Think Europe – Europe
thinks": Prof. Dr. Jochen Oltmer (Universität Osnabrück) und Gerald Knaus
(Europäische Stabilitätsinitiative e.V. ESI) zu Gast am Frankfurter Center
for Applied European Studies

Zur Diskussion über das Thema „Flucht und Migration: Scheitert Europa?"
lädt das Center for Applied European Studies (CAES) im Rahmen seiner
Veranstaltungsreihe „Think Europe – Europe thinks" für den 13. Oktober
2021 ein. Zu Gast sind der deutsche Historiker und Migrationsforscher
Prof. Dr. Jochen Oltmer und der österreichische Soziologe und
Migrationsforscher Gerald Knaus.

Nach Angaben des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen (Global Trends
Report 2020) waren 2020 82,4 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht –
vor Krieg, Verfolgung, Umwelt- und Klimakatastrophen, Armut und
wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit. Die Pandemie verschlechterte die
Lage der Geflüchteten weltweit, und auch die Entwicklung in Afghanistan
lässt von dort eine hohe Fluchtbewegung erwarten. Wie ist die aktuelle
europäische Flüchtlings- und Asylpolitik zu bewerten? Sind die
europäischen Werte mit dieser Politik vereinbar? „Schaffen wir das“ oder
scheitert Europa an seinen Außengrenzen? Welche Implikationen ergeben sich
für die europäische Solidarität – innerhalb wie außerhalb?
Über diese Fragen diskutiert Prof. Dr. Dr. Michel Friedman,
Geschäftsführender Direktor des CAES, mit seinen beiden Gästen.

Die Teilnahme ist kostenfrei. Die Veranstaltung findet in Präsenz statt
und wird parallel über YouTube gestreamt. Vor Ort zugelassen sind 80
Personen, es gilt die 3G-Regel – geimpft, genesen, getestet: Angemeldete
Teilnehmende müssen am Einlass ihren Impf- oder Genesenennachweis bzw. ein
negatives Corona-Testergebnis vorlegen. Die Plätze werden in der
Reihenfolge der Anmeldung vergeben. Der Link zur Anmeldung lautet:
https://www.frankfurt-university.de/ThinkEurope

Zu den Personen:
Prof. Dr. phil. habil. Jochen Oltmer, Jahrgang 1965, ist außerplanmäßiger
Professor für Neueste Geschichte und Migrationsgeschichte sowie
Vorstandsmitglied des Instituts für Migrationsforschung und
Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück. Er arbeitet zu
deutschen, europäischen und globalen Migrationsverhältnissen in
Vergangenheit und Gegenwart.

Gerald Knaus, Jahrgang 1970, ist Mitgründer und Vorsitzender der
Europäischen Stabilitätsinitiative e.V. (ESI). Er gilt als Architekt des
EU-Türkei-Flüchtlingspakts von 2016. Knaus studierte in Oxford, Brüssel
und Bologna und arbeitete in Bosnien für verschiedene Nichtregierungs- und
internationale Organisationen. Er war fünf Jahre Associate Fellow am Carr
Center for Human Rights Policy der Harvard University. 2020
veröffentlichte er den Bestseller „Welche Grenzen brauchen wir?“ zur
Zukunft der Flüchtlings- und Migrationspolitik.

Termin: Mittwoch, den 13. Oktober 2021, 18:00 bis 20:00 Uhr
Ort: Frankfurt University of Applied Sciences, Nibelungenplatz 1, 60318
Frankfurt, Gebäude 4, Raum 111/112 und parallel Livestream auf YouTube

Programm „Think Europe – Europe thinks“
Impulse des Center for Applied European Studies (CAES)

Begrüßung
Prof. Dr. Martina Klärle, Vizepräsidentin für Forschung, Weiterbildung und
Transfer der Frankfurt UAS

Gespräch zwischen
Prof. Dr. Dr. Michel Friedman, Geschäftsführender Direktor, Center for
Applied European Studies (CAES)
Prof. Dr. Jochen Oltmer, Professor für Neueste Geschichte und
Vorstandsmitglied des Instituts für Migrationsforschung und
Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück
Gerald Knaus, Mitgründer und Vorsitzender des Think Tanks Europäische
Stabilitätsinitiative e.V. (ESI)

anschließend Fragen und Antworten, Moderation: Prof. Dr. Dr. Michel
Friedman

Zuletzt war der Terrorismusexperte Prof. Dr. Peter Neumann mit dem Thema
„Terrorismus – Wie groß ist die Gefahr für Europa?" Gast der Reihe. Zuvor
diskutierten die ARD-Korrespondentin Annette Dittert und der Historiker
Prof. Dr. Brendan Simms über den Brexit. Der Europaabgeordnete und
Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP) Manfred Weber und
Martin Hoffmann, Geschäftsführer des Petersburger Dialogs e.V. und
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutsch-Russischen Forums e.V.,
debattierten über „Putins Russland und die Sicherheit Europas“. Weitere
Gäste waren u.a. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, die
Außenminister a.D. Sigmar Gabriel und Joschka Fischer sowie der ehemalige
Europa-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit.

Das Center for Applied European Studies (CAES):
Das interdisziplinär forschende Center for Applied European Studies
begleitet das Thema Europa wissenschaftlich und entwickelt
anwendungsorientierte Lösungsvorschläge für europäische Fragen und
Herausforderungen. Neben Forschungsprojekten und der Errichtung von Think
Tanks sollen anwendungsorientierte Bildungs-, Fort- und
Weiterbildungsmodule entwickelt werden. Um die „Erfindung“ Europas und
seiner Zukunft in einer öffentlichen Debatte zu ermöglichen, bietet das im
Juni 2016 an der Frankfurt University of Applied Sciences eröffnete
„Center for Applied European Studies“ Symposien, Vorträge und öffentliche
Veranstaltungen an. Die Veröffentlichung relevanter Forschungs- und
Diskussionsergebnisse ist ein weiteres wichtiges Ziel. Im Vordergrund der
Arbeit steht die Interdisziplinarität der Projekte. Durch den Austausch
der unterschiedlichen Fachbereiche der Frankfurt University of Applied
Sciences und einem internationalen Austausch werden neue Konzepte
entwickelt. Auch der Austausch von kulturellen, ökonomischen, politischen
und wissenschaftlichen Perspektiven soll weitere Erkenntnisse
hervorbringen und zur Diskussion stellen.

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Sonderstellungnahme des Friedensgutachtens / Nach dem Scheitern in Afghanistan: Lehren für die neue Bundesregierung

Eine der wichtigsten Aufgaben der neuen Bundesregierung wird die
Aufarbeitung der gescheiterten Afghanistanmission sein. Mit einem Resümee
des zwanzigjährigen Bundeswehreinsatzes, einer Fehleranalyse und klaren
Handlungsempfehlungen haben sich die führenden deutschen
Friedensforschungsinstitute heute mit einer öffentlichen Stellungnahme an
die künftige Bundesregierung und den Bundestag gewandt.

30. September 2021. Für Deutschland war die Afghanistan-Intervention ein
gravierender Einschnitt in seine Außen-, Sicherheits- und
Entwicklungspolitik. Sie war der erste Bündnisfall innerhalb der NATO. Und
noch niemals zuvor war die Bundesrepublik in vergleichbarem Ausmaß an
einem Einsatz beteiligt, der zugleich Terrorbekämpfung,
Aufstandsniederschlagung und Staatsaufbau verfolgte – Ziele, die wie sich
im Nachhinein gezeigt hat, zu hochgesteckt waren. Der insgesamt
zwanzigjährige „Krieg gegen den Terror“ kostete mehr als 900.000 Menschen
das Leben. Die materiellen Kosten belaufen sich auf acht Billionen Dollar.

Die neue Bundesregierung wird das krachende Scheitern des Westens am
Hindukusch aufarbeiten müssen. Deutschlands führende
Friedensforschungsinstitute, die einmal jährlich das renommierte
Friedensgutachten herausgeben, haben dazu heute öffentlich Stellung
bezogen. In einer gemeinsamen Sonderstellungnahme erläutern die Leitungen
des Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC), des Leibniz-
Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, des Instituts
für Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Hamburg (IFSH) und
des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-
Essen den Afghanistan-Einsatz. Welche Faktoren haben dazu geführt, dass er
trotz guter Zwischenerfolge letzten Endes gescheitert ist? Und welche
Lehren für künftige Auslandseinsätze ergeben sich daraus für die neue
Bundesregierung?

Afghanistan-Erfahrungen nur bedingt auf andere Missionen übertragbar

Höchste Priorität habe jetzt, die deutsche Beteiligung an internationalen
Einsätzen unabhängig und ressortübergreifend neu zu bewerten, fordern die
Friedensforscher:innen. Künftige Einsätze sollten bereits während der
laufenden Mission kritisch überprüft werden, damit gegebenenfalls
umgesteuert werden kann. Afghanistan sei zwar ein wichtiger Referenzpunkt.
Trotzdem können die dortigen Erfahrungen nicht in Gänze auf andere
Auslandsmissionen übertragen werden. Die Afghanistanmission war einer der
härtesten Fälle für ein international unterstütztes Staatsaufbauprojekt,
die Ausgangsbedingungen dort waren besonders herausfordernd.

Mindestanforderungen für Einsätze beachten

Das Scheitern des Afghanistaneinsatzes bedeute nicht, dass auch andere
Missionen versagen müssen. Langjährige Erfahrungen zeigten, dass
multilaterale Einsätze in Postkonfliktstaaten dort tatsächlich den Frieden
fördern und zum Wiederaufbau des Landes beitragen können. Allerdings
müssen dafür bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, resümieren die
Forscher:innen. Dazu zählten, dass in dem Land ein Mindestmaß an
politischer Stabilität gegeben sei, es eine funktionierende staatliche
Infrastruktur gebe und die lokale Bevölkerung die Stabilisierungs- und
Aufbaumission mittrage.

Risiken des Einsatzes klar benennen, realistische Ziele setzen

Aber selbst unter optimalen Bedingungen sind solche Einsätze immer auch
mit Risiken verbunden. Diese Risiken, die Gefahr eines möglichen
Scheiterns sowie probate Exit-Strategien sollten von vornherein
miteingeplant und klar kommuniziert werden. Diese Strategien sollten auch
Maßnahmen zum verantwortungsvollen Umgang mit Ortskräften einschließen.
Eine weitere Lehre aus dem Afghanistan-Einsatz ist die Erkenntnis, dass es
ein Fehler war, vorrangig auf den Ausbau des Militärs und Polizeiapparates
in dem Land zu setzen, gleichzeitig aber den zivilen Sektor zu
vernachlässigen. Zudem sollte Deutschland im Kampf gegen den
internationalen Terrorismus gegenüber illegitimen Akteuren und Praktiken
eine klare Linie vertreten. Vor allem aber sollten die die politischen
Ziele eines Einsatzes realistisch sein und präzise kommuniziert werden,
fordern die Wissenschaftler:innen.

Europäische Fähigkeiten und Fertigkeiten stärken

Nicht nur Deutschland war für den Afghanistan-Einsatz schlecht
vorbereitet, auch die Europäische Union hat als sicherheitspolitischer
Akteur eine schwache Figur abgegeben. Insbesondere die dramatische
Evakuierungsaktion zum Schluss hat einmal mehr die militärische
Abhängigkeit von den USA verdeutlicht. Europa muss dringend seine zivilen
und militärischen Fähigkeiten stärken, appellieren die Herausgeber:innen
des Friedensgutachtens.

Die ausführliche Stellungnahme sowie Analysen und Kapitel, die seit Beginn
des Afghanistan- Einsatzes in den jährlichen Friedensgutachten erschienen
sind, finden Sie auf der Themenseite des Friedensgutachtens unter:
https://friedensgutachten.de/2021/themenseite-afghanistan
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Über das Friedensgutachten

Das Friedensgutachten ist ein gemeinsames Gutachten des Bonn International
Centre for Conflict Studies (BICC), der Hessischen Stiftung Friedens- und
Konfliktforschung (HSFK), des Instituts für Friedensforschung und
Sicherheitspolitik (IFSH) und des Instituts für Entwicklung und Frieden
(INEF) an der Universität Duisburg-Essen. Seit 1987 veröffentlichen die
vier Friedensforschungsinstitute das Friedensgutachten als zentrales
Medium für den Dialog zwischen Wissenschaft und Politik.
Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Fachgebieten untersuchen darin
internationale Konflikte aus einer friedensstrategischen Perspektive und
bringen dabei unterschiedliche Blickwinkel ein. Mit seinen klaren
Empfehlungen übersetzt das Friedensgutachten wissenschaftliche
Erkenntnisse in praktische Handlungsanweisungen für die Politik.

Die Themen gliedern sich in die fünf jährlich wiederkehrenden Themenfelder
„Bewaffnete Konflikte“, „Nachhaltiger Frieden“, „Rüstungsdynamiken“,
„Institutionelle Friedenssicherung“ und „Transnationale
Sicherheitsrisiken“. Im zusätzlichen Kapitel, „Fokus“, wird ein Thema des
aktuellen Konfliktgeschehens tiefergehend beleuchtet. Das
Friedensgutachten wird von der Deutschen Stiftung Friedensforschung
gefördert.

Das Friedensgutachten 2021 mit dem Titel „Europa kann mehr!“, das am 8.
Juni 2021 auf der Bundespressekonferenz vorgestellt wurde, finden Sie
unter www.friedensgutachten.de.

Die herausgebenden Institute
Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC)
Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK)
Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität
Hamburg (IFSH)
Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen
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Neue Publikation \ Bericht 2021 zum Stand der Extremismusforschung

Das Netzwerk für Extremismusforschung CoRE-NRW bietet mit seinem
diesjährigen Forschungsbericht ein umfassendes Informationsangebot zum
Stand der Extremismusforschung in Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus.
Die CoRE-NRW-Koordinierungsstelle arbeitet am BICC (Bonn International
Centre for Conflict Studies) im Auftrag für das Ministerium für Kultur und
Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.

Im Jahr 2021 befindet sich die Forschung, auch die Extremismusforschung,
in einer besonderen Situation. Die Corona-Pandemie hat die Gesellschaft im
vergangenen Jahr geprägt und erfordert wissenschaftliche Betrachtungen aus
unterschiedlichen Perspektiven. Auf Demonstrationen marschierten Gruppen
der extremen Rechten Seite an Seite mit Pandemieleugner:innen,
Esoteriker:innen, Reichsbürger:innen und Verschwörungsideolog:innen.
Solche ungewöhnlichen Allianzen von der bürgerlichen Mitte über bislang
eher unauffällige Milieus und Menschen, die sich als „links“ verorten, bis
zum extrem rechten Rand wirft relevante Fragestellungen für die
Extremismusforschung auf. Doch auch der Islamismus bleibt ein Thema: Die
Gefahrenlage durch dschihadistischen Terrorismus und religiös motivierte
Straftaten in Deutschland bleibt weiterhin hoch. Der Sieg der Taliban in
Afghanistan mag von Teilen dieser Bewegung zudem als ermutigend empfunden
werden.

Der Forschungsbericht des Netzwerks „Connecting Research on Extremism in
North Rhine-Westphalia“, kurz CoRE-NRW, gibt einen systematischen
Überblick über die Forschungslandschaft zu Radikalisierung und Extremismus
von August 2020 bis Juli 2021. Der Bericht fokussiert auf Forschung in
NRW. Darunter befinden sich auch sieben neue Forschungsvorhaben mit
Förderung des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW (MKW-NRW).
Darüber hinaus werden auch bundesweite und europäische Verbundprojekte und
Institutionen vorgestellt.

Insgesamt betrachtet der Bericht 56 Projekte und 12
Forschungseinrichtungen.Thematisch gliedert er sich entlang der
Schwerpunktthemen in CoRE-NRW in drei Cluster: 1) Salafismus und
Islamismus, 2) Rechtsextremismus und Rassismus sowie 3)
Phänomenübergreifende Forschung und andere Formen des Extremismus. Die
Publikation bietet informative Kurzprofile mit Beschreibungen zu den
Hintergründen der Vorhaben, ihren Forschungsfragen und ihrer Methodik.
Ergänzt wird dies durch die wichtigsten Ergebnisse und ausgewählte
Schlüsselpublikationen der jeweiligen Forschung.

Sie finden den Forschungsbericht 2021 von CoRE-NRW zum Download als PDF
unter: <www.bicc.de/uploads/tx_bicctools/CoRE-NRW_Forschungsbericht21.pdf>

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Koalitionsverhandlungen: So könnten erfolgversprechende Strategien aussehen

Zwei potenzielle Kanzler und zwei Königsmacher: Verhandlungsexpert:innen
der Unis Hohenheim und Potsdam beleuchten mögliche Strategien für die
Koalitionsverhandlungen.

Gemeinsame Pressemitteilung der Universitäten Hohenheim und Potsdam

Rot-Grün-Gelb, Schwarz-Grün-Gelb oder doch wieder eine große Koalition:
Die Regierungsbildung wird in den nächsten Wochen nicht einfach werden.
Aus Verhandlungssicht ist das gestrige Wahlergebnis für Prof. Dr. Uta
Herbst von der Universität Potsdam und Prof. Dr. Markus Voeth von der
Universität Hohenheim in Stuttgart eine spannende Situation und eine große
Herausforderung. Zusammen leiten sie die Negotiation Academy Potsdam (NAP)
und beschäftigen sich mit Verhandlungsstrategien und -taktiken, auf die es
jetzt ankommen dürfte. Dies zeigte sich schon gestern Abend, als FDP und
Grüne aktiv den ersten Schachzug machten und verkündeten, dass sie sich
zunächst einmal untereinander abstimmen wollen, bevor sie in Verhandlungen
mit den beiden großen Parteien eintreten.

Das Wahlergebnis vom 26. September 2021 macht verschiedene
Koalitionsoptionen möglich: Eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP,
eine Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP sowie eine große
Koalition aus SPD und CDU/CSU. Doch wie geht man die komplexen
Verhandlungen am besten an? Sollten beispielsweise die Gespräche parallel
oder nacheinander geführt werden?

Mit diesen und anderen Fragen beschäftigen sich die beiden Direktoren der
Negotiation Academy Potsdam (NAP) Prof. Dr. Uta Herbst von der Universität
Potsdam und Prof. Dr. Markus Voeth von der Universität Hohenheim. Aus
ihrer Sicht haben Grüne und FDP dazu noch am Wahlabend einen unerwarteten
Aufschlag gemacht: Anstatt abzuwarten, bis sie von den größeren Parteien
eingeladen werden, wollen sie sich zunächst einmal untereinander
abstimmen. „Das ist ein kluger Schachzug und deutet auf einen
ausgeklügelten Matchplan hin“, sagt Prof. Dr. Voeth von der Universität
Hohenheim.

„Denn in diesen Gesprächen werden Grüne und FDP ausloten, welche Projekte
des jeweils anderen sie NICHT unterstützen werden und welche toleriert
werden können. Mit dieser Liste der gegenseitig tolerierbaren Projekte
werden sie dann in die Gespräche mit den beiden großen Parteien SPD und
CDU/CSU gehen. Damit können sie verhindern, dass der größere Partner sie
gegen den anderen kleineren ausspielt. Im Grunde läuft das damit quasi auf
ein grün-gelbes Regierungsprogramm hinaus. Denn die beiden ‚Kleinen‘
werden so ganz viele ihrer Themen durchsetzen können.“

Prof. Dr. Herbst erklärt den Grund: „Verhandlungstechnisch nutzen Grüne
und FDP nun aus, dass sie jeweils eine Alternative haben, ein so genanntes
BATNA („Best alternative to a negotiated agreement“), SPD und CDU/CSU aber
nicht. Denn beide haben immer eine große Koalition ausgeschlossen – und
das trotz offensichtlicher inhaltlicher Schnittmengen. Das fällt ihnen
jetzt auf die Füße, da sie nun den in den Koalitionsverhandlungen FDP und
Grünen praktisch ausgeliefert sind.“

Welche Möglichkeiten bleiben den beiden großen Parteien nun? Laut Prof.
Dr. Voeth haben SPD und CDU/CSU im Wesentlichen nur folgende Optionen: Zum
einen sollte die SPD, eine „große Koalition“ nicht weiter völlig
ausschließen. Auch wenn möglicherweise keiner Lust dazu hätte, könne die
große Koalition ein wichtiges Hilfsmittel sein, um in den Gesprächen
eigene Themen gegenüber Grünen und FDP durchzusetzen: „Wahlgewinner Olaf
Scholz sollte die Möglichkeit in Betracht ziehen, auf die CDU/CSU
zuzugehen und sie zu Gesprächen über eine Koalition unter seiner Führung
einzuladen, und damit gleichzeitig FDP und Grüne in Zugzwang bringen. Und
wer weiß, vielleicht sind die Schnittmengen zwischen den großen am Ende
doch größer als mit den sehr fordernden kleinen Parteien.“

Für die CDU/CSU sieht Prof. Dr. Herbst nur die Möglichkeit, damit zu
drohen, doch lieber in Opposition zu gehen. Aus ihrer Sicht sei es gestern
weder nötig noch verhandlungstaktisch geschickt gewesen, dass Armin
Laschet gleich angekündigt habe, er wolle eine Koalition unter seiner
Führung bilden: „So hat er den Grünen und der FDP noch mehr Macht gegeben.
Denn sie wissen nun, dass er zu allem bereit ist, um an die Macht zu
kommen.“ Prof. Dr. Markus Voeth ergänzt: „Besser wäre es gewesen, erst mal
abzuwarten. Denn Grüne und FDP brauchen die CDU/CSU, um ihre eigenen
Themen gegenüber der SPD durchzusetzen.“

Seine Empfehlung lautet daher, dass sich die CDU/CSU zurücknehmen und
erstmal die anderen machen lassen. Durch das Ausspielen des BATNAs „Wir
gehen in die Opposition!“ wachse sogar die Chance für CDU/CSU, ihre Themen
durchzusetzen und vielleicht am Ende eine Koalition anzuführen. „Denn wenn
Grüne und FDP die SPD nicht mehr mit ihrer Alternative „Koalition mit der
CDU/CSU“ unter Druck setzen können, wird die SPD ihnen weniger
Zugeständnisse machen. Und das vergrößert wiederum die Chancen der CDU/CSU
doch noch eine Koalition unter eigener Führung zustande zu bringen“,
analysiert Prof. Dr. Uta Herbst.

HINTERGRUND: Negotiation Academy Potsdam (NAP)

Die Negotiation Academy Potsdam (NAP) wurde 2013 an der Universität
Potsdam gegründet und verfügt seit 2016 über einen zweiten Standort an der
Universität Hohenheim. Tätigkeitsfelder der NAP sind die Bereiche
Verhandlungsforschung, Verhandlungsschulung und der Dialog zwischen
Wissenschaft und Praxis. Ihr Leitbild ist ein ganzheitliches Verständnis
von Verhandlungen als Managementprozess, der neben der eigentlichen
Verhandlungsführung vor allem auch vor- und nachgelagerte
Managementaufgaben betrachtet (z.B. Verhandlungsvorbereitung oder
Verhandlungscontrolling).

Zu den Pressemitteilungen der Universität Hohenheim
http://www.uni-hohenheim.de/presse

Text: Stuhlemmer

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