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Wirtschaft

Die neue Rolle von CFOs

CFOs werden durch die fortschreitende Digitalisierung eine neue Rolle in Unternehmen einnehmen
CFOs werden durch die fortschreitende Digitalisierung eine neue Rolle in Unternehmen einnehmen

Chief Financial Officers (CFOs) werden in Zukunft voraussichtlich eine
neue Rolle in Unternehmen einnehmen. Das geht aus einer aktuellen Studie
der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC und der WHU – Otto
Beisheim School of Management hervor. Die derzeit eher administrativen und
regulativen Aufgaben von CFOs werden sich hin zu wertschöpfenden
Tätigkeiten entwickeln. Grund dafür ist die zügig voranschreitende
Digitalisierung.

„Die klassische Arbeit von Finanzabteilungen – das Überwachen von
Finanzkennzahlen, Zahlungen und anderen Risiken – beruht zu einem großen
Teil auf klaren Regeln, die sich einfach standardisieren und
kosteneffizient digitalisieren ließen“, sagt Gori von Hirschhausen,
Finance Consulting Leader Europe bei PwC Deutschland. Dass das auch
bereits in den Finanzabteilungen großer Unternehmen angekommen ist, zeigt
die Studie. Für beinahe drei Viertel der weltweit 522 befragten CFOs hat
das zügige Vorantreiben der Digitalisierung in der eigenen Abteilung hohe
Priorität. Besonders in Großkonzernen, die einen jährlichen Umsatz von
mehr als zehn Milliarden Euro haben, macht die Digitalisierung große
Fortschritte. Bei Unternehmen mittlerer und kleinerer Größe geht es
dagegen etwas schleppender voran, auch wenn die Bedeutung erkannt wurde.
An der Finanzausstattung liegt das nicht. Knapp die Hälfte der befragten
CFOs geht davon aus, dass ihr Budget für eine umfassende Digitalisierung
um bis zu 25 Prozent steigen wird.
Jedoch fehlt in einigen Fällen das Know-how und Mitarbeitende, die die
digitalen Prozesse in den Arbeitsalltag integrieren. Während Dashboard-
Tools für übersichtlichere Berichte schon weit verbreitet sind, hinken
Technologien wie Künstliche Intelligenz oder Process Mining (Verbesserung
der Unternehmensprozesse) noch deutlich hinterher. Dabei gibt es in diesen
Bereichen noch viele ungenutzte Potenziale der Digitalisierung. Die Studie
zeigt außerdem, dass CFOs in der gegenwärtigen Phase des Umbruchs ihre
neue Rolle zum Teil selbst mitgestalten können.
Neue Funktionen ergeben sich für CFOs laut der Studie von PwC und der WHU
in den Bereichen Datenmanagement, Prognosen und anderen analytischen
Prozessen. Dadurch ergibt sich für CFOs in Zukunft die Möglichkeit, sich
neue Einflussbereiche zu erschließen und die Unternehmensführung in
strategischen Fragen stärker zu unterstützen.

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Hohe Erwartungen, unklarer Nutzen: Industrie 4.0 und der Wandel zu nachhaltigem Wirtschaften

Unternehmensvertreterinnen und -vertreter erwarten, dass die
Digitalisierung zu einer besseren Umweltbilanz ihres Unternehmens
beiträgt. Ihre konkreten Erfahrungen zeichnen jedoch ein weniger positives
Bild: Bislang helfen die neuen Technologien kaum bei der Verbesserung der
Ressourceneffizienz. Um das Potenzial der Industrie 4.0 zu nutzen, braucht
es laut Forschenden auch politische Unterstützung.

Die industrielle Produktion muss grundlegend verändert werden, wenn die
UN-Nachhaltigkeitsziele erreicht werden sollen. Zwei Hauptziele stehen
dabei im Vordergrund: Dekarbonisierung und Dematerialisierung. Ziel der
Dekarbonisierung ist die Reduktion von klimaschädlichen Gasen, vor allem
CO2. Bei der Dematerialisierung geht es darum, wirtschaftliche Produkte
und Dienstleistungen mit einem Minimum an Materialeinsatz zu erzeugen und
so weit wie möglich auf umweltverträgliche Materialien oder Prozesse zu
setzen. Ein internationales Team um IASS-Forschungsgruppenleiter Grischa
Beier untersuchte die Potenziale von Industrie 4.0 für diese beiden Ziele
per Online-Umfrage unter Unternehmensvertreterinnen und -vertretern in
China, Brasilien und Deutschland, in einer Vielzahl von Industriesektoren
und in Unternehmen unterschiedlicher Größe.

Mit größerer Erfahrung sinken die Erwartungen

Die Mehrheit der Industrievertreterinnen und -vertreter – 53 Prozent in
Deutschland, 82 Prozent in Brasilien und 67 Prozent in China – erwarten
eine Verbesserung der Umweltwirkung ihres Unternehmens durch den Einsatz
von Industrie-4.0-Technologien. Besonders hoch ist dieser Anteil bei
Unternehmen mit mehr als 5000 Mitarbeitenden in Deutschland und Brasilien.

Große Unterschiede beobachteten die Forschenden in einigen Ländern
zwischen den Sektoren: In Brasilien sind die Erwartungen für den
Maschinen- und Anlagenbau besonders optimistisch (100 Pro-zent), in
Deutschland für den Elektronik-Sektor (75 Prozent) und den
Automobilbereich (58 Prozent). In China gibt es hingegen keine großen
Unterschiede zwischen den Sektoren.

Die bisherigen Erfahrungen, etwa in Bezug auf Ressourceneffizienz und
Energieverbrauch, stützen die hoffnungsvollen Erwartungen jedoch nur zum
Teil. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es eine zu hohe
Erwartungshaltung bei den Unternehmen gibt, die noch wenig Erfahrung mit
Industrie 4.0 haben. Je weiter das jeweilige Unternehmen mit der Umsetzung
war, umso moderater waren beispielsweise die Erwartungen für die
tatsächlichen Energieeinsparungen“, sagt Erstautor Grischa Beier. Auch
frühere Studien hätten wenig Hinweise darauf ergeben, dass es hier zu
erheblichen systematischen Einsparungen kommen würde.

Industrie 4.0 hilft, die Produktion an der Nachfrage auszurichten

Ein erfreuliches Ergebnis der Studie ist, dass Unternehmen mit einem hohen
Digitalisierungsniveau durchaus positive Potenziale für ihre Ökobilanz
verzeichnen: Je höher das derzeitige Industrie-4.0-Niveau der Unternehmen
ist, desto größer ist ihre Fähigkeit, ihre Produktivität an der Nachfrage
auszurichten. Zudem steigt ihre Bereitschaft, ihre Produktionszeiten
flexibel an die Verfügbarkeit von erneuerbarem Strom anzupassen. Dies ist
laut den Forschenden eine wichtige Voraussetzung für die Stabilisierung
und effiziente Nutzung künftiger erneuerbarer Energiesysteme.

Ihre Schlussfolgerung ist, dass Industrie 4.0 nur mit politischer
Unterstützung zu Umweltverbesserungen führen wird. „Unsere Studie zeigt,
dass die Umsetzung des Konzepts Industrie 4.0 vor dem Hintergrund der UN-
Nachhaltigkeitsziele kritisch hinterfragt werden sollte: Die reine
Digitalisierung von Unternehmensprozessen wird für einen Übergang zu einer
nachhaltigen Wirtschaft nicht reichen. Damit das volle Potenzial der
Digitalisierung für die Nachhaltigkeit genutzt wird, braucht es ergänzend
eine Kombination aus Regulierung und Anreizen, wozu auch die Festlegung
verbindlicher Ziele für die Einsparung von Energie und Material gehört“,
erklärt Grischa Beier. Auch wenn die Ergebnisse ein gemischtes Bild
zeichnen, werde doch deutlich, dass die breite Umsetzung von Industrie 4.0
Chancen für mehr ökologische Nachhaltigkeit von Unternehmen bietet.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Grischa Beier
Telefon: +49 331 28822 380
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Originalpublikation:
Beier, G., Matthess, M., Guan, T., Grudzien, D. I. d. O. P., Xue, B.,
Lima, E. P. d., Chen, L. (2022): Impact of Industry 4.0 on corporate
environmental sustainability: Comparing practitioners’ percep-tions from
China, Brazil and Germany. - Sustainable production and consumption, 31,
287-300.
https://doi.org/10.1016/j.spc.2022.02.017

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Kiel Trade Indicator 03/2022: Welthandel im Abschwung

Nach über einem Monat Krieg in der Ukraine treten die negativen Folgen für
den globalen Handel nun deutlich zutage. Laut jüngstem Datenupdate des
Kiel Trade Indicator belastet der Konflikt die Handelsdaten nahezu aller
Volkswirtschaften und auch deutlich den Welthandel insgesamt (Vergleich
zum Vormonat, preis- und saisonbereinigt). Russlands zunehmende Isolation
zeigt sich in einem abrupten Rückgang der an- und ablegenden
Containerschiffe in den dortigen Häfen. Weltweit nimmt die Anzahl der in
Staus befindlichen Schiffscontainer wieder zu.

"Die angespannte Lage in der Weltwirtschaft und zunehmende Schwankungen im
Containerschiffnetzwerk werden im Kiel Trade Indicator durch fast
ausschließlich negative Vorzeichen sichtbar. Reale Verwerfungen durch die
Invasion Russlands in der Ukraine und die Sanktionen des Westens sowie
eine hohe Unsicherheit der Firmen mit Beziehungen zu Russland werfen den
Märzhandel spürbar zurück“, sagt Vincent Stamer, Leiter Kiel Trade
Indicator.

Laut jüngstem Datenupdate des Kiel Trade Indicator für März dürfte der
Welthandel im Vergleich zum Vormonat deutlich um 2,8 Prozent zurückgehen
(preis- und saisonbereinigt). Der für Februar prognostizierte Einbruch
verschiebt sich in den März.

Für fast alle Volkswirtschaften sind die Vorzeichen des Kiel Trade
Indicator für den Märzhandel negativ. In Deutschland dürften die Exporte
im Vergleich zum Februar um 3,7 Prozent sinken, die Importe um 3,2
Prozent. Auch für die EU zeichnen sich Rückgänge bei Exporten (-5,6
Prozent) und Importen (-3,4 Prozent) ab. In den USA dürften die Exporte
mit -3,4 Prozent stärker fallen als die Importe mit -0,6 Prozent.

Für Russland weist der Kiel Trade Indicator einen weiter fallenden Handel
aus (Exporte: -5,0 Prozent; Importe: -9,7 Prozent). An den drei größten
Häfen Russlands, St. Petersburg, Wladiwostok und Novorossiysk, ist der
Containerfrachtverkehr bereits um die Hälfte eingebrochen.

„Die Sanktionen des Westens zeigen ganz offenbar Wirkung, und die
russische Bevölkerung sieht sich einem immer knapper werdenden
Warenangebot gegenüber. Europas Unternehmen und Reedereien schränken
offensichtlich den Transport über den Seeweg ein. Gleiches dürfte für den
Handel über den wichtigeren Straßenverkehr gelten, was den starken
Rückgang bei Russlands Importen erklärt“, so Stamer.

Die Ukraine ist praktisch vom internationalen Seehandel abgeschnitten. Den
wichtigsten Hafen des Landes, Odessa am Schwarzen Meer, hat seit
Kriegsausbruch kein großes Containerschiff mehr angelaufen.

Für China stehen die Signale auf Stagnation, mit schwarzer Null bei den
Importen (+0,9 Prozent) und roter Null bei den Exporten (-0,9 Prozent).
„Der Lockdown der Metropolregion Shanghai, wo vor allem Elektronikartikel
für den Export produziert werden, schlägt sich noch nicht klar in den
Handelszahlen für März nieder. Wohl auch, weil der Hafen dort weiterhin
betrieben wird“, so Stamer.

„Künftige Verwerfungen in Chinas Handel sind damit aber keineswegs vom
Tisch, auch weil die Omikron-Variante des Corona-Virus nach wie vor
grassiert. Besorgniserregend ist zudem der deutliche Anstieg der
weltweiten Containerschiffstaus, der auch auf Lockdowns in China
zurückgeführt werden kann.“

Derzeit stecken etwa 12 Prozent aller weltweit verschifften Waren fest –
im vergangenen Jahr lag der Wert nur in zwei Monaten höher.

Die nächsten Aktualisierungen des Kiel Trade Indicator erfolgen am 20.
April (ohne Medieninformation) und am 5. Mai (mit Medieninformation für
die Handelsdaten im April 2022).

Weitere Informationen zum Kiel Trade Indicator und die Prognosen für alle
75 Länder finden Sie auf www.ifw-kiel.de/tradeindicator (https://www.ifw-
kiel.de/de/themendossiers/internationaler-handel/kiel-trade-indicator/).

Über den Kiel Trade Indicator

Der Kiel Trade Indicator schätzt die Handelsflüsse (Im- und Exporte) von
75 Ländern und Regionen weltweit sowie des Welthandels insgesamt. Im
Einzelnen umfassen die Schätzungen über 50 Länder sowie Regionen wie die
EU, Subsahara-Afrika, Nordafrika, den Mittleren Osten oder Schwellenländer
Asiens. Grundlage ist die Auswertung von Schiffsbewegungsdaten in
Echtzeit. Ein am IfW Kiel programmierter Algorithmus wertet diese unter
Zuhilfenahme von künstlicher Intelligenz aus und übersetzt die
Schiffsbewegungen in reale, saisonbereinigte Wachstumswerte gegenüber dem
Vormonat.

Die Auswertung erfolgt zweimal im Monat. Um den 20. (mit Pressemeldung)
für den laufenden und den folgenden Monat und um den 3. (ohne
Pressemeldung) für den vergangenen und den laufenden Monat.

An- und ablegende Schiffe werden dabei für 500 Häfen weltweit erfasst.
Zusätzlich werden Schiffsbewegungen in 100 Seeregionen analysiert und die
effektive Auslastung der Containerschiffe anhand des Tiefgangs gemessen.
Mittels Länder-Hafen-Korrelationen können Prognosen erstellt werden, auch
für Länder ohne eigenen Tiefseehafen.

Der Kiel Trade Indicator ist im Vergleich zu den bisherigen
Frühindikatoren für den Handel deutlich früher verfügbar, deutlich
umfassender, stützt sich mit Hilfe von Big Data auf eine bislang
einzigartig große Datenbasis und weist einen im Vergleich geringen
statistischen Fehler aus. Der Algorithmus des Kiel Trade Indikators lernt
mit zunehmender Datenverfügbarkeit dazu (machine learning), so dass sich
die Prognosegüte im Lauf der Zeit weiter erhöht.

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Gemeinsam vom Flatterstrom zur Freiheitsenergie

In der Diskussion um russische Gaslieferungen werden die oft als
„Flatterstrom“ abgewerteten erneuerbaren Energien nun zur
„Freiheitsenergie“. Aber wie können Verbraucherinnen und Verbraucher diese
zukunftsorientierten Energien nutzen und fördern, ohne gleich eine eigene
Solaranlage zu installieren oder spezielle Ökostromverträge abzuschließen?

Eine Forschergruppe am Umwelt-Campus Birkenfeld der Hochschule Trier
präsentiert eine Möglichkeit, den aktuellen Anteil an Freiheitsenergie aus
der heimischen Steckdose zu visualisieren und elektrische Verbraucher nur
dann zu aktivieren, wenn genügend erneuerbare Energien im bundesdeutschen
Strommix vorhanden sind. So können wir als Gemeinschaft schon jetzt dafür
sorgen, dass vorhandener klimaneutraler Strom effizient genutzt und die
Abhängigkeit von importiertem Gas und Öl sofort reduziert wird.
Im letzten Jahr wurden mehr als 41 Prozent des bundesweiten Strombedarfs
durch erneuerbare Energien gedeckt. Ein beachtlicher Anteil, der jedoch
noch deutlich höher ausfallen könnte, wäre da nicht das fluktuierende
Angebot der grünen Energiequellen. An Sonnentagen und wenn Wind in
ausreichender Menge vorhanden ist, kann das Angebot den aktuellen Bedarf
aller Privathaushalte und der Industrie heute durchaus schon
überschreiten. Dann wird die überschüssige Energie über den
länderübergreifenden Verbund ins Ausland exportiert und erzielt dabei auch
einmal negative Preise, das heißt, große Verbraucher werden für die
Abnahme sogar bezahlt. Nachts oder bei Windstille dagegen müssen fossil
betriebene Backup-Kraftwerke den regenerativen Strom ersetzen, weshalb
einige Akteure bisher abschätzig von „grünem Flatterstrom“ sprechen.
Die Balance dieses Wechselspiels aus Angebot und Nachfrage ist Aufgabe der
großen Netzbetreiber. Die dazu nötige Regelenergie stammt zum großen Teil
aus schnell reagierenden Gaskraftwerken. Aber spätestens seit dem
Kriegsbeginn in der Ukraine fragen sich Millionen Haushalte im Lande: Was
kann ich persönlich tun, um die regenerativen Energien besser zu nutzen
und den Import von fossilen Energieträgern zu minimieren. Wie können wir
uns einbringen, ohne dabei allzu große Komforteinschränkungen zu
verzeichnen?

Eine wichtige Antwort darauf ist die dezentrale Eigennutzung von
Photovoltaik, sei es in Form einer Solaranlage auf dem Hausdach, oder in
Form eines Balkonkraftwerks auf der Terrasse oder Garage. Abgesehen von
aktuellen Lieferproblemen sind dazu jedoch größere Investitionen
erforderlich. Außerdem hat nicht jeder Platz und Gelegenheit zum
Aufstellen der erforderlichen Solarmodule. Was uns darüber hinaus bleibt,
ist die Unterstützung der bereits installierten Anlagen durch Abschluss
spezieller Ökostromverträge. Hierzu bieten die Energieversorger
entsprechende Verträge an und verpflichten sich, den jeweiligen Haushalt
mit „grünem“ Strom zu beliefern.
Aus dem MINT-Unterricht (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und
Technik) in der Schule weiß man allerdings, dass der Strom aus der
Steckdose auch beim zertifizierten Ökostromtarif physikalisch aus einem
Mix von regenerativen und fossilen Energien besteht.

Die Webseite des Umwelt-Campus macht Freiheitsenergie sichtbar

Warum nicht auf den aktuellen Mix schauen und regenerative Energien
zeitgenau dann nutzen, wenn sie ausreichend vorhanden sind? Genau das ist
seit langem die Idee des „Smart Grid“, oder intelligenten Stromnetzes. Nur
entsprechende Tarife der Energieversorger, die auf ein wechselndes
Stromangebot reagieren und smarte Haushaltsgeräte, die dann automatisch
schalten, lassen bisher noch auf sich warten.
Hier möchte die Forschergruppe des Umwelt-Campus Birkenfeld der Hochschule
Trier (UCB) ansetzen und bietet auf ihrer Homepage allen Haushalten die
Möglichkeit, den aktuellen Anteil der regenerativen Energien aus der
heimischen Steckdose live zu beobachten. Denn der erste Schritt zur
Autarkie und zum eigenverantwortlichen Handeln in der Gesellschaft ist das
Wissen um die aktuelle Situation: https://freiheitsenergie.umwelt-
campus.de.
Gleichzeitig bietet die Webseite eine Vorhersage zur Abschätzung der
kurzfristigen Entwicklung. Prognostiziert das Modell einen höheren Anteil
regenerativer Energie, dann lohnt sich vielleicht das Verschieben der
Wäsche oder des geplanten Ladevorgangs, bis bessere Bedingungen herrschen.
Hier findet sicher jeder seinen Lieblingsverbraucher, sei es
Wäschetrockner, Geschirrspüler oder Elektromobil. Im Falle des Smartphones
oder e-Bike sind das nur wenige Wattstunden, die aber in Summe von
Millionen Haushalten durchaus helfen können, den aktuellen Bedarf an
fossilen Energieträgern signifikant zu reduzieren. „Kaum zu glauben, dass
diese Möglichkeiten in der Praxis bisher so wenig genutzt werden“ meint
Stefan Naumann, Professor für Nachhaltigkeitsinformatik am Umwelt-Campus
und Mitentwickler des „Blauen Engels“ für Software.

Die IoT2 - Werkstatt macht vorhandene Geräte fit für Freiheitsenergie

Im Zuge einer gemeinwohlorientierten Digitalisierung und dem Engagement in
der Gesellschaft geht sogar noch mehr: Grundlage bildet das Internet der
Dinge (IoT), die künstliche Intelligenz und ein Open Source-Werkzeugkasten
zur Programmierung, den der Umwelt-Campus gemeinsam mit der Expertengruppe
IoT im nationalen Digitalgipfel und Makern aus der ganzen Welt entwickelt
hat.
„Mit diesem Werkzeugkasten konnten wir in den letzten Monaten viele
innovative Ideen realisieren, von der CO₂-Ampel im Klassenzimmer, über den
Pegelmesser bei Starkregenereignissen, bis jetzt zur intelligenten
Steckdose. Alles digitale Ideen Made in Germany, die unsere
gesellschaftliche Resilienz stärken, spielerisch einfach umsetzbar sind
und uns nebenbei noch schlau machen“ sagt Professor Klaus-Uwe Gollmer,
einer der Initiatoren der ursprünglich als Bildungsprojekt für Schulen
entwickelten IoT2-Werkstatt.
Der Anteil einzelner Energiequellen am bundesdeutschen Strommix wird schon
jetzt laufend von der Bundesnetzagentur überwacht und ist über deren
Marktdatenschnittstelle verfügbar. Diese Informationen werden am UCB in
Echtzeit aufbereitet und stehen neben der Webseite für Menschen nun auch
in einer IoT-Cloud für Maschinen und (Haushalts-)Geräte zur freien
Verfügung.
Denn in fast jedem Haushalt gibt es heute intelligente, d.h. schaltbare
Steckdosen, die einen elektrischen Verbraucher bequem vom Sofa aus steuern
lassen (Smart-Home). Hier setzt die IoT2-Werkstatt an: Ein einfacher
Algorithmus verknüpft die Informationen über das aktuelle Angebot mit der
Steuerung der Steckdosen. Das Ganze funktioniert praktisch wie in einem
Kochrezept:
Wenn mehr als 60 % der Energie regenerativ produziert wird, dann lade mein
an die Steckdose angeschlossenes e-Bike.
Oder
Wenn weniger als 30 % der Energie regenerativ produziert wird und mein
Balkonkraftwerk auch keinen Überschuss liefert, dann schalte die
Klimaanlage aus.
So ein Algorithmus wird ähnlich wie beim Puzzle zusammengesteckt und auf
einem energieeffizienten Mikrocomputer ausgeführt. Die an der Steckdose
angeschlossenen Altgeräte erfahren dabei automatisch einen Retrofit in
Sachen Freiheitsenergie und können so noch viele Jahre im intelligenten
Energienetz mitspielen. Im Sinne der Nachhaltigkeit ist dies ein weiterer
wichtiger Beitrag zur Ressourcenschonung.
Angesichts der starren Tarife der Energieversorger wirkt das Upgrade
leider noch nicht direkt im Portemonnaie des Endverbrauchers. Aber jeder
Kubikmeter Erdgas, jedes Kilogramm Kohle zählt. Hat die Nachfrage,
insbesondere bei angespannten Weltmarkt, doch sehr wohl Auswirkung auf den
Preis, der sich dann indirekt über die Kosten der Wohnungsheizung doch im
nächsten Winter wieder im Haushalt bezahlt macht.
„Im Falle von größeren Verbrauchern, zum Beispiel bei der Aufladung des
Elektroautos oder der Warmwasserbereitung der Wärmepumpenheizung sehen wir
sehr viel Potenzial“ meint Henrik te Heesen, Professor für Erneuerbare
Energien am Umwelt-Campus und Hochschul-Vizepräsident für Forschung.

Nutzen wir die Schwarmintelligenz der Tüftler

Bei den vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten, die sich aus der
vorgestellten Lösung ergeben, sind Deutschlands Tüftler gefragt. An vielen
Orten entstehen bereits öffentliche Makerspaces und Innovationslabore, die
eine fächerübergreifende Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen und
Akteure aus allen Teilen der Gesellschaft fördern. Der Umwelt-Campus
bietet neben dem Innovationslabor INNODIG Bachelorstudiengänge zur
Angewandten Informatik und Künstlichen Intelligenz, zur Umweltinformatik
und auch für Erneuerbare Energien. Die intelligente
„Freiheitsenergie“-Steckdose ist nur eines der spannenden Themen im
breiten Portfolio der angewandten Forschungsprojekte am Campus.

Hintergrund

Der Umwelt-Campus Birkenfeld ist Teil der Hochschule Trier und bündelt
Forschung und Lehre zu MINT-Themen mit Fokus auf Digitalisierung und
Nachhaltigkeit. Hier arbeiten Studierende der Informatik und der
Ingenieurwissenschaften gemeinsam mit den Lehrenden an der Lösung
drängender gesellschaftlicher Fragestellungen. Der Umwelt-Campus belegt im
internationalen Wettbewerb GreenMetric Platz 6 von über 900 Hochschulen
und Universitäten und ist damit Deutschlands grünster Hochschulstandort.
In der Kategorie Energie- und Klimawende ist der Campus sogar weltweit
führend.
Die IoT2-Werkstatt ist eine Graswurzelinitiative im Bildungssystem, um das
Thema für Schüler*innen und Studierende anfassbar zu machen. 21
Informatik-Profilschulen in Rheinland-Pfalz werden bereits vom Team am
Umwelt-Campus betreut.

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