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Wirtschaft

Das Schweigen von Wirecard - HHL untersuchte über sechs Jahre die Finanzkommunikation von Wirecard

HHL Handelshochschule Leipzig  Fotograf: Daniel Reiche  HHL
HHL Handelshochschule Leipzig Fotograf: Daniel Reiche HHL

Die Finanzkommunikation von Wirecard war jahrelang von
unterdurchschnittlicher Qualität. Dies ist das Ergebnis von Untersuchungen
über einen sechsjährigen Zeitraum hinweg im Rahmen des
Finanzkommunikations-Wettbewerbs „INVESTORS‘ DARLING“.

INVESTORS‘ DARLING ist ein Gradmesser für die Qualität der
Finanzkommunikation von Unternehmen. Der Wettbewerb beurteilt die
Berichterstattung der 160 größten am deutschen Kapitalmarkt gelisteten
Unternehmen. Seit 2014 wird der Wettbewerb INVESTORS DARLING vom manager
magazin und der Handelshochschule Leipzig (HHL) Graduate School of
Management ausgetragen. Er gilt als der härteste Wettbewerb zur
Finanzkommunikation in Deutschland.

Für Stakeholder, darunter Analysten und Investoren, ist die
Berichterstattung eines Unternehmens der einzige tiefere Einblick in den
Zustand der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage.

Durch seine Index-Zugehörigkeit erst zum TecDAX und seit September 2018
zum DAX war  Wirecard jedes Jahr Bestandteil dieser umfangreichen
Untersuchung. In jedem Jahr schnitt das Unternehmen im Vergleich
unterdurchschnittlich ab.

Am Beispiel der Wettbewerbsergebnisse von 2019 lassen sich eindeutige
Kommunikationsdefizite in der Finanzberichterstattung von Wirecard
erkennen. So erreichte Wirecard unter den 30 DAX-Unternehmen nur Platz 28.
Im Vergleich mit den insgesamt 160 untersuchten Unternehmen erreichte
Wirecard Platz 107. Im Vergleich zu 2018 bedeutete das einen Abfall für
den DAX-Aufsteiger um neun Platzierungen. Vor allem in den Bereichen  der
Berichterstattung (Reporting) und den Beziehungen zu den Investoren
(Investor Relations) schnitt Wirecard deutlich schlechter ab als die
Vergleichsgruppe der DAX-Unternehmen. Wirecard zeigte insgesamt eine stark
unterdurchschnittliche Performance im Vergleich aller am Wettbewerb
teilnehmenden Unternehmen.

Die Veröffentlichung des Wirecard-Geschäftsberichtes 2019 wurde bereits
dreimal verschoben und steht noch immer aus.

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Längerer Bezug von Arbeitslosengeld hemmt Gründungserfolg

Arbeitslose, die sich selbstständig machen, sind im Schnitt weniger
erfolgreich, wenn sie über einen längeren Zeitraum hinweg Arbeitslosengeld
I beziehen können. Ein längerer Anspruch auf Arbeitslosengeld führt bei
vielen Betroffenen dazu, dass sie länger arbeitslos bleiben. Dies hat
wiederum negative Auswirkungen auf den Erfolg der Gründungen aus der
Arbeitslosigkeit. Das sind die Ergebnisse einer aktuellen Studie des ZEW
Mannheim und der Universität Zürich.

„Wer sich gedrängt fühlt, sich selbstständig zu machen, um die
Arbeitslosigkeit hinter sich zu lassen, ist weniger motiviert und auch
weniger erfolgreich“, sagt Sebastian Camarero Garcia, Wissenschaftler im
ZEW-Forschungsbereich „Soziale Sicherung und Verteilung“.

„Ein längerer Bezug von Arbeitslosengeld kann dazu führen, dass
Arbeitslose wertvolle berufliche Fähigkeiten und Kontakte verlieren. Zudem
können sie bei längerer Arbeitslosigkeit Stigmatisierung unterliegen und
weniger Zugang zu Krediten erhalten“, sagt Studien-Mitautor Martin
Murmann, Wissenschaftler im ZEW-Forschungsbereich „Innovationsökonomik und
Unternehmensdynamik“ und an der Universität Zürich. „Andererseits
ermöglicht eine längere Bezugsdauer auch eine bessere Vorbereitung.
Potenzielle Gründerinnen und Gründer können in dieser Zeit Fortbildungen
besuchen und eine Markteintrittsstrategie erarbeiten.“

Die maximal mögliche Bezugsdauer des Arbeitslosgeldes I hängt sowohl von
den Einzahlungen in die Arbeitslosenversicherung als auch vom Alter ab.
Zwischen Anfang 2006 und Anfang 2008 wurde diese im Zuge der Hartz-
Gesetzgebung zunächst stark gesenkt und anschließend wieder leicht erhöht.
Die Wissenschaftler nutzen diese Reformen, um die Wirkung der Bezugsdauer
auf den Erfolg von Startups, die aus der Arbeitslosigkeit heraus gegründet
werden, zu untersuchen. Dazu nutzen sie einen neugeschaffenen Datensatz,
der Umfragedaten von Gründern und deren Sozialversicherungsdaten
kombiniert. Sie betrachten etwa 1.300 Gründerinnen und Gründer, die
unmittelbar vor der Gründung arbeitslos waren, und die genügend
Beitragsmonate angesammelt hatten, um Anspruch auf die volle Dauer des
Arbeitslosengeldbezuges zu erhalten.

Die Wissenschaftler unterscheiden Selbstständigkeit als Chance von
Selbstständigkeit aus Notwendigkeit. Eine Chance liegt vor, wenn die
Gründerinnen und Gründer in der Selbstständigkeit die Möglichkeit sehen,
eigenständig zu arbeiten, eine Business-Idee zu verwirklichen oder mehr zu
verdienen als bei einer Anstellung. Gründungen aus Notwendigkeit dagegen
beruhen auf dem Motiv, der Arbeitslosigkeit zu entkommen: Wenn Arbeitslose
keine geeignete Stelle finden, erscheint die Selbstständigkeit als der
letzte Ausweg. Selbstständige aus Gelegenheit erzielen im Durchschnitt
höhere Verkaufszahlen mit ihren Startups und stellen mehr
Vollzeitäquivalente in den ersten Jahren nach der Gründung ein.

Je länger Gründerinnen und Gründer Anspruch auf Arbeitslosengeld haben,
desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich aus Notwendigkeit
heraus selbstständig machen, kurz bevor das Arbeitslosengeld I ausläuft.
Mit jedem Monat an zusätzlichem Anspruch auf Arbeitslogengeld I steigt
zudem die tatsächliche Arbeitslosendauer zukünftiger Gründerinnen und
Gründer um einen halben Monat an. Zugleich sinkt das Wachstum der Startups
im Hinblick auf Umsatz und Beschäftigung im Vergleich zu Startups von
Gründerinnen und Gründern, die weniger lang Anspruch auf Arbeitslosengeld
haben. Der Staat kann also unter anderem über die Länge der Bezugsdauer
von Arbeitslosengeld beeinflussen, welche Gründungen entstehen können.

Sollte man die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I im Lichte der Ergebnisse
kürzen? „Das ist keine richtige Schlussfolgerung. Insbesondere in Zeiten
einer Krise am Arbeitsmarkt, in der Stellenangebote fehlen, ist sogar eine
befristete Verlängerung sinnvoll“, entgegnet Martin Murmann. Sebastian
Camarero Garcia ergänzt: „Die politische Schlussfolgerung unseres
Forschungspapers ist vielmehr, dass die Arbeitsagentur möglichst
frühzeitig die neuen Arbeitslosen über Ihre Fertigkeiten und beruflichen
Perspektiven intensiv befragen und analysieren sollten. Durch schnelle und
gezielte Weiterbildungsmaßnahmen könnten die Chancen für all diejenigen,
die weiterhin abhängig beschäftigt bleiben wollen, verbessert werden. Wer
hingegen eine gute Geschäftsidee hat, sollte bei der Erstellung eines
Business Plans beraten und passgenaue Startup-Förderung erhalten.“

Somit kann der Staat dazu beitragen, dass diejenigen, die eine abhängige
Beschäftigung anstreben, diese auch möglichst innerhalb der Bezugsdauer
von Arbeitslosengeld I finden. In Deutschland werden jedes Jahr bis zu
einem Viertel aller neuen Unternehmen von Arbeitslosen gegründet.
Diejenigen, die eine gute Geschäftsidee in der Arbeitslosigkeit
entwickeln, sollten entsprechend ebenso frühzeitig Unterstützung dafür
erhalten, so dass am Ende erfolgreichere neue Unternehmen entstehen.
Schließlich plädieren die Autoren für eine Einbindung der Selbstständigen
in die Arbeitslosenversicherung, damit sich in Zukunft mehr Menschen
trauen, eine gute Geschäftsidee in eine Gründung umzusetzen.

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Online-Umfrage: Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf Nachhaltigkeit im Handel aus?

Prof. Dr. Bastian Popp
Prof. Dr. Bastian Popp

Welche Auswirkungen hat Corona auf den Handel? Wie beeinflussen die
Erfahrungen, die Konsumenten in der Pandemie sammeln, ihre Einstellung zu
regionalen Produkten, fairem Handel oder umweltbewusster Produktion? Wird
Nachhaltigkeit ausschlaggebender für ihre Kaufentscheidung im Laden und
auch online? Dies wollen der Handelsexperte Professor Bastian Popp und
sein Team an der Universität des Saarlandes herausfinden. Wer ihre
Forschung unterstützen möchte, kann sich unter folgendem Link an einer
Online-Umfrage beteiligen: <https://bit.ly/2Ck0GwZ>

Bereits vor der Corona-Pandemie legten mehr und mehr Kundinnen und Kunden
Wert auf kurze Lieferwege, regionale, fair gehandelte Produkte, achteten
auf Bio- oder Tierwohl-Label und dahinterliegende Produktionsbedingungen.
Die Forderung nach mehr Nachhaltigkeit hat längst die Märkte erreicht.
„Schon in den vergangenen Jahren hat Nachhaltigkeit sich im Hinblick auf
ökonomische, soziale und ökologische Aspekte im Handel zu einem äußerst
relevanten Thema entwickelt“, attestiert der Wirtschaftswissenschaftler
Professor Bastian Popp. „Insbesondere das steigende Umweltbewusstsein und
die zunehmende Wahrnehmung sozialer Verantwortung durch die Konsumenten
hat dazu geführt, dass Nachhaltigkeit einen entscheidenden Einfluss auf
Konsumentscheidungen hat“, erläutert er. Damit erhöht sich auch der Anreiz
für Hersteller und Handelsunternehmen, auf diesen Kundenwunsch zu
reagieren.

Die Corona-Pandemie könnte das Thema Nachhaltigkeit im Handel nun noch
einmal entscheidend prägen. Dem will der Saarbrücker Handelsexperte jetzt
zusammen mit seinem Doktoranden Patrick Klein auf den Grund gehen: „Die
Covid-19-Pandemie hat vielfältige, komplexe Konsequenzen nach sich
gezogen, die sich auch auf die Nachhaltigkeit im Handel auswirken. Wir
wollen nun erforschen, inwieweit sich dadurch Veränderungen etwa im
Hinblick auf das Kaufverhalten ergeben, die sich auch in Zukunft auf den
Handel auswirken“, erklärt Popp, der an der Universität des Saarlandes das
Institut für Handel und Internationales Marketing und die
wirtschaftswissenschaftliche Sektion des Europa-Instituts leitet. „Die
Ergebnisse können für unternehmerische Entscheidungen vor Ort wie auch im
Online-Handel relevant werden und etwa bei bevorstehenden Investitionen in
Nachhaltigkeit wichtige Argumente liefern. Daher würden wir uns freuen,
wenn sich viele an unserer Umfrage beteiligen“, sagt Bastian Popp.

Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, sich an der jetzt
gestarteten Online-Umfrage zu beteiligen: <https://bit.ly/2Ck0GwZ>
Die Teilnahme an der Befragung dauert etwa zehn Minuten. Die erhobenen
Daten werden ausschließlich zu wissenschaftlichen Forschungszwecken und
vollständig anonym ausgewertet. Ergebnisse der Befragung werden von den
Forschern kostenfrei Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und allen
Interessierten zur Verfügung gestellt werden.

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Arbeitsrecht: Recht auf Homeoffice – Pflicht oder Segen

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will Recht auf Homeoffice per Gesetz.
Juristin Prof. Dr. Antje G. I. Tölle von der Hochschule für Wirtschaft und
Recht Berlin sagt, das passe ohne flankierende Reformen nicht zum
Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht in Deutschland. Ein Interview.

•       Geplantes Gesetz zum Recht auf Homeoffice passt weder in die
Realität des deutschen Arbeitsmarktes noch in das Gefüge des
Arbeitsrechtes.
•       Koalitionsvertrag sieht lediglich Auskunftsanspruch bei
Antragsrecht vor, bleibt weit hinter gesetzlich garantiertem Anspruch auf
mobiles Arbeiten zurück.
•       Rückkehrrecht ins Büro und anlassloses Homeoffice für alle
Beschäftigten muss garantiert werden.

Was verbirgt sich hinter dem Recht auf Homeoffice?

Das neudeutsche Homeoffice ist ein Synonym für mobiles Arbeiten. Auch
Telearbeit oder andere Begriffe meinen die vollständige oder teilweise
Arbeit außerhalb der Betriebs- und Geschäftsräume. Bundesminister Heil hat
Ende April angekündigt, bis zum Herbst einen Gesetzesentwurf dazu
vorzulegen. Ich halte es für gewagt, Homeoffice von Rechts wegen zu
statuieren. Es passt weder in die Realität des deutschen Arbeitsmarktes
noch in das Gefüge des Arbeitsrechtes.

Sie sind gegen das Homeoffice? Weshalb?

Nein, im Gegenteil, ich arbeite gern und sehr effizient von zu Hause,
nicht nur jetzt in der Pandemiezeit. Aber ich vermisse den unmittelbaren
Austausch mit meinen Kolleginnen und Kollegen. Und auch in der Lehre ist
die Zusammenarbeit mit den Studierenden eine ganz andere. Kritisch sehe
ich das geplante Gesetz, weil nicht jeder Beruf Homeoffice-fähig ist,
denken Sie etwa an die Gastronomie, das Handwerk oder den
Gesundheitsbereich. Und das führt zu Ungleichheit.

Weil es auch als Vertrauensbeweis und Wertschätzung empfunden wird?

Ich halte das Homeoffice für nur einen Baustein von vielen im Konstrukt
wertschätzender moderner "Guter Arbeit" – wo es denn die Tätigkeit
zulässt. Es gibt neben diesen „weichen“ Faktoren auch handfeste, messbare
Vorteile. Beim Arbeiten von zu Hause entfällt beispielsweise der
Arbeitsweg, dadurch bleibt mehr Freizeit. Und es fördert das Wohnen im
ländlichen Raum. Das ist ein wichtiger Beitrag angesichts zunehmend
überlasteter urbaner Agglomerationsräumen, also der Konzentration der
Bevölkerung in den Städten. Weniger Pendelwege verringern die
Klimabelastung merklich.

Diese und andere Argumente werden sinngemäß im geltenden Koalitionsvertrag
aufgelistet. Mobiles Arbeit soll gefördert werden. Also stehen die Zeichen
auf Grün?

Entgegen der jüngsten Verlautbarung von Bundesminister Heil sieht der
Koalitionsvertrag nur einen "Auskunftsanspruch der Arbeitnehmer gegenüber
ihrem Arbeitgeber über die Entscheidungsgründe der Ablehnung" vor.
Rechtlich flankiert ein solcher Auskunftsanspruch ein Antragsrecht, mehr
nicht. Es bleibt weit hinter einem Recht, also einem gesetzlich
garantieren Anspruch auf mobiles Arbeiten zurück.

Wie kann ein Gesetz entgrenzter Arbeitszeit und dem Druck, immer
erreichbar sein zu müssen, entgegenwirken? Studien zeigen, dass
Arbeitnehmer im Homeoffice mehr Überstunden leisten.

Diese Sorgen mögen teilweise berechtigt sein. Im Vergleich zu Kolleginnen
und Kollegen, die vor Ort arbeiten, schlägt das Arbeiten von zu Hause bei
Umfragen nicht selten mit Mehrarbeit zu Buche. Doch das Homeoffice sollte
deshalb nicht prinzipiell zum Schwarzen Peter werden. Die Bedenken sind
nicht neu, stellen sich auch, wenn der Vorgesetzte während des Urlaubs
anruft oder spätestens dann, wenn ein Diensthandy überlassen wird.

Wie löst man das Dilemma, wenn mobil nicht implizieren darf: immer agil?

Nun, Smartphones werfen die Frage auf, ob jede eintreffende E-Mail
zwangsläufig an Arbeitnehmer appelliert, umgehend ihre Arbeit aufnehmen zu
müssen. Ein Blick in die geltenden Vorschriften des Arbeitsschutzes zeigt,
dass jeder Arbeitnehmerin und jedem Arbeitnehmer elf Stunden Ruhezeit
zustehen. Vorgesetzte können also gar kein Interesse daran haben, jede
Nachricht als Arbeitsaufforderung verstanden zu wissen. Vielmehr wird
teilweise diskutiert, ob es schier als aufgedrängte Arbeit zu werten ist,
wenn auf jede Nachricht reagiert wird. Durch die Arbeitsaufnahme entstehen
Überstunden, die gar nicht beabsichtig sind, und die Ruhezeit wird
unterbrochen. Außerdem wird damit auch die Arbeitszeit der Führungskraft
entgrenzt.

Wie realistisch ist es anzunehmen, dass ein Gesetz das alles regeln kann?

Gesetzliche Regeln können nur Leitplanken schaffen. Es obliegt auf der
einen Seite einer verantwortungsvollen nachhaltigen Führungskultur, Regeln
zu vereinbaren; sowohl für die Präsenzarbeit im Büro, wie für die mobile
Arbeit. Ich bin davon überzeugt, dass es vor Ort Abreden gibt, wie ein
Arbeitsauftrag zu verstehen und zu gewichten ist, so dass dies nur auf das
mobile Arbeiten übertragen werden muss.

Das Homeoffice ist ein anspruchsvolles Arbeitsfeld auch im Hinblick auf
Selbstorganisation und -verantwortung.

Absolut, es darf nicht unterschätzt werden, dass das Homeoffice und andere
Flexibilisierungen ein Mehr an eigener Organisation und Verantwortung von
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verlangt. Beim Arbeiten von Zuhause muss
man sich ebenso vor Ablenkungen abschirmen wie im Büro. Es drängt sich
hier vielleicht schneller ein schlechtes Gewissen auf, als wenn sich das
Gespräch mit der Kollegin oder dem Kollegen in der Kaffeeküche mal länger
hinzieht.

Vertrauensarbeitszeiten gab es schon, bevor die Corona-Pandemie dem
Homeoffice Vorschub leistete.

Ja, und deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass dieser Weg gangbar
ist. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben die Vorteile von
Rahmenarbeitszeiten zu schätzen gelernt. Es ist gängige Praxis, dass sich
Kolleginnen und Kollegen außerhalb der Kernarbeits- oder Funktionszeit
begrüßen, verabschieden oder anderweitig ihren Dienstbeginn und Feierabend
kommunizieren, miteinander arbeiten. Diese Tradition lässt sich
digitalisieren. Sie setzt auch klare Grenzen und schützt vor entgrenzten
Arbeitszeiten.

Flexible und individuelle Vereinbarungen und Lösungen, welchen konkreten
Beitrag können Gewerkschaften hier leisten?

Gute Arbeit ist das gemeinsame Werk aller Sozialpartner. Gerade beim
Homeoffice können die Gewerkschaften viel ausrichten, indem sie auf
Betriebsräte und Personalräte einwirken und insbesondere Vorurteile
abbauen. Aus der Praxis vernehme ich immer wieder, dass das Thema
"Homeoffice" für beide Seiten mit vielen Unsicherheiten und teilweise
Vorurteilen besetzt ist. Hier möchte ich Gewerkschaften ermuntern, in die
Vorreiterrolle zu schlüpfen, indem sie Best-Practice-Beispiele vorstellen.
Ich wünsche mir ein Muster für Betriebs- und Dienstvereinbarungen zum
Homeoffice, die zum Beispiel zwischen Sozialpartnern abgestimmt auf der
Internetseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales abrufbar ist.

Statt eines Gesetzes?

Solche Betriebs- und Dienstvereinbarungen wären ein niedrigschwelliges
Instrumentarium und weit konkreter und wirkungsvoller als ein plakatives
"Recht auf Homeoffice". Sie bieten vor allem die Chance, gesellschaftliche
Realitäten konkret abzubilden. Beispiele dafür gibt es bereits, aber auch
Nachbesserungsbedarf. Mir bekannte Dienst- oder Betriebsvereinbarungen zum
Homeoffice zielen vielfach allein auf soziale Implikaturen ab. Sie
bevorzugen oder berücksichtigen zum Teil ausschließlich Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter mit Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen. Nur diese
können auf begründeten Antrag von zu Hause arbeiten.

Wie würden Sie diese Regelung erweitern?

Diese Kriterien halten keine Lösung bereit, wenn Angehörige plötzlich
erkranken. So lässt sich nicht die Zeit der Genesung überbrücken oder bis
– im schlimmsten Fall – eine Pflegestufe zugesprochen wurde. Darüber
hinaus muss die Betreuungssituation von Kindern in heutigen vielfältigen
Erziehungsmodellen abgebildet werden und es auch Großeltern ermöglichen,
im Homeoffice für die Betreuung ihrer Enkel zu arbeiten. Patchwork-
Familien, in denen Lebenspartnerinnen oder -partner die Betreuungsarbeit
übernehmen, kommen hier noch nicht vor. Weiterhin sollten sich
Schwerbehindertenvertretungen dafür einsetzen, dass das Homeoffice eine
wichtige Komponente der Teilhabe oder Wiedereingliederung sein kann.
Denkbar wäre ein gestuftes Modell aus anlasslosem Homeoffice für alle
Mitarbeitenden. Auch Weiterungen für besondere soziale Situationen
gleichen hier aus.

Welche generellen Erwartungen und Vorschläge knüpfen Sie als Juristin an
das angekündigte Gesetz?

Zunächst sollte die Diskussion rund um das Homeoffice genutzt werden, um
etwa die Arbeitsschutzvorschriften zu modernisieren, damit auch zu Hause
der Arbeitsunfall und die Arbeit vor Bildschirmen gesichert ist. Einen
Heimarbeitsplatz zu unterhalten bedarf diverser technischer
Voraussetzungen, die gerade kleine und mittlere Unternehmen stark
beanspruchen können. Deswegen wünsche ich mir eine Blaupause des § 8
Teilzeit- und Befristungsgesetz. Hier kann jeder eine
Teilzeitbeschäftigung beantragen, anschließend wird die Möglichkeit
erörtert. Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern bleibt es jedoch möglich, sie
aus betrieblichen Gründen abzulehnen. Darüber hinaus sollte der
Gesetzgeber darauf achten, dass ein Rückkehrrecht ins Büro offensteht.
Sonst fürchte ich, dass das Recht auf Homeoffice sich in eine Pflicht zum
Homeoffice verkehrt.

Das Interview führte Sylke Schumann, Pressesprecherin der Hochschule für
Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin.

Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin

Die Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin ist mit über 11 500
Studierenden eine der großen Hochschulen für angewandte Wissenschaften –
mit ausgeprägtem Praxisbezug, intensiver und vielfältiger Forschung, hohen
Qualitätsstandards sowie einer starken internationalen Ausrichtung. Das
Studiengangsportfolio umfasst Wirtschafts-, Verwaltungs-, Rechts- und
Sicherheitsmanagement sowie Ingenieurwissenschaften in über 60
Studiengängen auf Bachelor-, Master- und MBA-Ebene. Die HWR Berlin
unterhält 195 aktive Partnerschaften mit Universitäten auf allen
Kontinenten und ist Mitglied im Hochschulverbund „UAS7 – Alliance for
Excellence“. Als eine von Deutschlands führenden Hochschulen bei der
internationalen Ausrichtung von BWL-Bachelorstudiengängen und im Dualen
Studium belegt die HWR Berlin Spitzenplätze in deutschlandweiten Rankings
und nimmt auch im Masterbereich vordere Plätze ein. Die HWR Berlin ist
einer der bedeutendsten und erfolgreichen Hochschulanbieter im
akademischen Weiterbildungsbereich und Gründungshochschule. Die HWR Berlin
unterstützt die Initiative der Hochschulrektorenkonferenz „Weltoffene
Hochschulen – Gegen Fremdenfeindlichkeit“.

http://www.hwr-berlin.de

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