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Wirtschaft

Kommentar Steuerschätzung: „Bund und Länder sollten Schuldenbremse auch 2021 aussetzen“

Jens Boysen-Hogrefe (https://www.ifw-kiel.de/de/experten/ifw/jens-boysen-
hogrefe/
), stv. Leiter der IfW-Konjunkturforschung, kommentiert die
Ergebnisse der 157. Sitzung des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“, deren
Mitglied er auch ist:

„Bund und Länder sollten auch für das Jahr 2021 die Ausnahmeregel der
Schuldenbremse nutzen und diese aussetzen. Die aktuelle Steuerschätzung
ist mit zu hoher Unsicherheit behaftet, als dass man die Haushaltsplanung
danach ausrichten sollte. Gleiches gilt für die Schätzung des
Wachstumspotenzials, das ebenfalls nach unten korrigiert wurde. Dem Bund
stehen jetzt unter dem Reglement der Schuldenbremse im nächsten Jahr 20
Milliarden Euro weniger zur Verfügung.

Deutschland darf seine finanziellen Spielräume zur Krisenbekämpfung jetzt
nicht auf Basis von Prognosen einengen, die aufgrund der gegenwärtigen
Ausnahmesituation kaum verlässlich und extrem korrekturanfällig sind. Es
besteht außerdem die Gefahr, dass die konjunkturelle Erholung im kommenden
Jahr durch eine restriktive Finanzpolitik behindert wird.

Sollte sich der Ausblick aufhellen und die nächsten Schätzungen Ergebnisse
liefern, die näher am Vorkrisenpfad liegen – was zu hoffen ist – würde
dies die finanziellen Spielräume von Bund und Ländern wieder erhöhen. Ein
Hin und Her in der Finanzpolitik würde durch das Aussetzen der
Schuldenbremse also verhindert.

Die Ausnahmeregel bzw. das Aussetzen der Schuldenbremse ist nicht zu
verwechseln mit einer temporären Abschaffung der Schuldenbremse. Die
Anforderungen der Schuldenbremse sind nicht verschwunden, sondern werden
nur in der Zeit gestreckt. Dadurch muss die Finanzpolitik nicht abrupt und
in großem Ausmaß reagieren. Vielmehr erlaubt das Aussetzen der
Schuldenbremse eine Verstetigung der Finanzpolitik.

Wenn die Corona-Krise überstanden und die wirtschaftlichen Folgen
absehbarer werden, ist eine Rückkehr zur Schuldenbremse geboten.
Dauerhafte Konsequenzen der Krise müssen letztlich in den laufenden
Haushalten abgebildet werden, wenn nicht ein Ausufern der Verschuldung
riskiert werden soll.“

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Abgesagte Veranstaltungen wegen Corona: Gutschein statt Geld zurück

Abgesagte Konzerte, verschobene Sportevents, geschlossene Theater- und Konzerthäuser. Die Coronavirus-Pandemie legt in ganz Europa zahlreiche Freizeitveranstaltungen lahm. Wer bei einem ausländischen Veranstalter gebucht hat, muss sich unter Umständen mit einem Gutschein zufriedengeben.

Fällt eine Veranstaltung wegen Corona aus, haben Verbraucher nach deutschem Recht einen Anspruch auf Erstattung des vollen Ticketpreises. In anderen EU-Staaten wurden jedoch bereits Gutschein-Lösungen eingeführt. Auch Deutschland denkt darüber nach.

Diese Rechte gelten im EU-Ausland

Veranstalter aus Belgien, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Österreich und Portugal dürfen ihren Kunden momentan Gutscheine anbieten, statt den Ticketpreis zu erstatten. In der Regel sind die Gutscheine 12 bis 18 Monate lang gültig. Wird der Gutschein nicht innerhalb der Gültigkeitsdauer eingelöst, können Verbraucher in den meisten Fällen den Geldbetrag zurückfordern. Geht der Veranstalter jedoch insolvent, gehen Betroffene in der Regel leer aus. 

Ob und wann Gutscheine akzeptiert werden müssen, dazu erhält das Europäische Verbraucherzentrum (EVZ) Deutschland zurzeit zahlreiche Anfragen. 

Beispiel: Eine deutsche Verbraucherin hat über ein niederländisches Unternehmen eine Eintrittskarte für ein André Rieu Konzert in Bremen gekauft. Das Konzert wurde verschoben. Nach deutschem Recht stünde ihr eine Erstattung des Ticketpreises inklusive der Gebühren zu. Nach niederländischem Recht darf ihr ein Gutschein angeboten werden.

Das Problem: Die Verbraucher wissen meist gar nicht, bei wem sie ihr Ticket gekauft haben, welche Rechte sie haben und wen sie bei Beschwerden kontaktieren müssen.

Tipps für Verbraucher, deren Veranstaltung abgesagt oder verschoben wurde  

  • Wenden Sie sich per E-Mail an den Veranstalter. Häufig überträgt der Veranstalter die Rückabwicklung jedoch auf den Tickethändler. Kontaktieren Sie im Zweifel beide.
  • Wenn Sie einen Ersatztermin nicht wahrnehmen können: Machen Sie deutlich, dass sie verhindert sind und verlangen Sie Ihr Geld zurück, auch wenn es im Land eine Gutschein-Regelung gibt. Eventuell gelingt doch eine Einigung mit dem Veranstalter. 
  • Wenn Sie einen angebotenen Gutschein nicht akzeptieren wollen: Kontaktieren Sie kostenlos das EVZ. Unsere Juristen prüfen, ob Ihnen Erstattungsansprüche nach deutschem Recht zustehen.

 

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Geschäftsklima: Textile Dienstleistungsbranche durch Corona unter Druck

Unternehmensentwicklung
Unternehmensentwicklung

Die Stimmung in der textilen Dienstleistungsbranche hat sich außerordentlich verschlechtert. Das zeigt die Blitz-Geschäftsklimaumfrage des Deutschen Textilreinigungs-Verbandes (DTV). Wäschereien und Reinigungen sehen sich mit massiven Umsatz- und Auftragseinbrüchen konfrontiert. Besonders hart trifft es das Privatkundengeschäft und Betriebe mit dem Schwerpunkt auf Hotellerie- und Gastronomiewäsche.  

Weil die Nachfrage nach textilen Dienstleistungen eingebrochen ist, hat sich die aktuelle Geschäftslage der Wäscherei- und Reinigungsbetriebe dramatisch verschlechtert. So bewerten 80% der Befragten die Umsatzentwicklung als „schlecht“ und weitere 18% als „leicht negativ“. Ähnlich die Gewinnerwartungen: 84% beurteilen die Gewinnentwicklung als „schlecht“ und 13% als „leicht negativ“.
„Die Werte sind historisch schlecht. Die Branche wurde durch die Corona-Krise mit voller Wucht getroffen. Negativ schlug vor allem das sinkende Privatkundengeschäft und die Schließung von Hotellerie- und Gastronomiebetrieben zu Buche“, sagt Andreas Schumacher, Geschäftsführer des DTV. Die schlechte Stimmung wirkt sich ebenso auf Investitionen und Personalstand der Betriebe aus. Eine Verbesserung der Situation im 2. Halbjahr 2020 sei nach Ansicht der Befragten kaum zu erwarten.

Keine Betriebsform bleibt verschont

Die gesamte Branche mit allen Betriebsformen ist massiv von der Krise betroffen. So leiden Wäscherei- und Textilservice-Betriebe, Reinigungen aber auch Mischbetriebe unter drastischen Umsatzeinbrüchen. Es ist der stärkste Rückgang innerhalb eines Halbjahrs seit Beginn der Erhebung.

Die Nachfrage von Privatkunden nach Textilreinigungsdienstleistungen ging in Folge der Pandemie stark zurück. Dabei beginnt gerade jetzt die Hauptsaison, die bis Ende Oktober dauert. „Da leben Reinigungen vor allem von den Hemden, Anzügen, von den Festtagsklei-dern und Hochzeiten. Nun sehen sich viele Betriebe mit Umsatzeinbrüchen von 80 Prozent konfrontiert“, so Schumacher.

Neben dem Privatkundengeschäft sind Betriebe, die Ihre Umsätze vorwiegend in der Hotellerie und Gastronomie erzielen, besonders massiv von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen. Viele Betriebe verzeichnen einen Totalausfall, weil ihre Kunden aus Hotellerie und Gastronomie entweder geschlossen oder zahlungsunfähig sind. Hinzu kommt, dass Kunden zunehmend Zahlungen später leisten wollen. „Der Stillstand in der Hotellerie und Gastronomie hat auch dramatische Auswirkungen auf deren Zulieferer wie Brauereien oder Wäschereien. Die Politik muss handeln und Lösungen sowohl für Hotellerie und Gastronomie als auch deren Zulieferer finden“, fordert Schumacher.

Insbesondere auch Betriebe die Mietberufskleidung anbieten sind aufgrund von Kurzarbeit und möglichem Stellenabbau bei den Kunden stark betroffen. Die Anbieter von Mietberufskleidung verzeichnen derzeit Umsatzeinbrüche da weniger Mitarbeiter und damit Nutzer von Berufskleidung in den Kundenunternehmen arbeiten.

85 Prozent der Betriebe haben Kurzarbeit angemeldet

Die gesunkene Nachfrage bei 92% der befragten Wäschereien und Reinigungen hat weitreichende Folgen auch für deren Belegschaft. So haben 85% der befragten Betriebe Kurzarbeit eingeführt. 68% der Betriebe haben als Folge der Corona-Krise ihre Investitionen zurückge-fahren. Fast die Hälfte der Befragten beklagen Liquidationsengpässe (49%). 16% berichten von einer drohenden Insolvenz.

Zudem beklagen sich viele Betriebe, dass die finanziellen Zuschüsse und Hilfen von Bund und Ländern sehr spät gezahlt werden. Einige Betriebe – überwiegend textile Dienstleister aus dem Gesundheitswesen – haben weiterhin große Probleme mit der Anerkennung als system-relevanter Betrieb. Das hat zur Folge, dass sie Ihre Mitarbeiter nur unter erschwerten Be-dingungen mit den entsprechenden Desinfektionsmitteln, Atemschutzmasken und Schutzbe-kleidung versorgen können. Für diejenigen, die mit potenziell kontaminierten Textilien – etwa aus Krankenhäusern – umgehen müssen, fordert der Branchenverband DTV einen schnellen Zugriff auf angemessene Schutzausrüstung.
„Wäschereien und textile Dienstleister für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen leisten in Corona-Zeiten einen unverzichtbaren Job, um Hygiene-Standards aufrecht zu erhalten und die Ausbreitung des Virus gerade in den Risikogruppen zu verlangsamen. Die Funktionsfähigkeit der textilen Dienstleistungsbranche ist daher essenziell für die Aufrechterhaltung unseres Sozial- und Gesundheitswesens“, so Schumacher.

Über die Hälfte der Betriebe können maximal noch 3 Monate durchhalten

Viele Wäscherei- und Reinigungsbetriebe sehen sich bereits jetzt in ihrer Existenz bedroht. 8% der Befragten geht davon aus, die aktuelle Situation noch maximal 4 Wochen lang durchhalten zu können. Weitere 18% glauben, die Krise noch 5 bis 8 Wochen durchzustehen. Und 28% hoffen, noch 9 bis 12 Wochen durchhalten zu können. „Mehr als die Hälfte der Wäscherei- und Reinigungsbetriebe werden die aktuelle Lage nicht länger als drei Monate überstehen und brauchen jetzt sofort wirksame Bundeshilfen", sagte Schumacher.

Der Deutsche Textilreinigungs-Verband ist Europas größter Verband für textile Dienstleis-tungen und vertritt als Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband von der traditionellen Textilrei-nigung bis hin zum industriellen Textildienstleister Unternehmen unterschiedlichster Größe und Betriebsform. Rund 800 Handwerks-, Gewerbe- und Industriebetriebe sind im DTV organisiert.

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Iran vor wirtschaftlichem Kollaps

Der Ausbruch des Corona-Virus könnte den Iran ins wirtschaftliche und
politische Chaos stürzen. Die US-Sanktionen haben das Land stark
geschwächt. Nun fehlt auch der Zugang zu dringend benötigten medizinischen
Produkten und Hilfsgütern aus dem Ausland, die etwa in Europa von
Exportbeschränkungen betroffen sind. Lässt die EU das Land weiter im Stich
dürfte eine diplomatische Zusammenarbeit wie etwa beim Thema Atomstreit
immer schwieriger werden.

„Der Iran zählt mit über 80.000 Corona-Infektionen und über 5.000 Toten
weltweit zu den am stärksten von COVID-19 betroffenen Ländern und gilt als
Epizentrum für den Ausbruch im Nahen Osten. Aus Angst vor einem
wirtschaftlichen Zusammenbruch musste das Land nun seine Schutzmaßnahmen
lockern. Dies könnte eine zweite Welle an Infektionen verursachen, welche
gepaart mit dem überlasteten Gesundheitssystem und der bereits äußerst
geschwächten Wirtschaft das Land ins Chaos stürzen könnte“, sagte Katrin
Kamin, Handelsforscherin am IfW Kiel, anlässlich der gemeinsam mit den
IfW-Forscherinnen Anna-Katharina Jacobs und Sonali Chowdhry
veröffentlichten Analyse „A crisis in times of crisis: Combating COVID-19
under sanctions in Iran“ (https://www.ifw-kiel.de/index.php?id=14074&L=1).

Die US-Sanktionen bedeuten zusätzliche bürokratische Hürden beim Import
von Medizinprodukten und deren Zwischenprodukten, die zur Bekämpfung von
Covid-19 benötigt werden. Außerdem werden Finanztransaktionen, die auch
humanitäre Hilfe mit einschließen, erschwert. Verschärfend kommt hinzu,
dass gegenwärtig 54 Regierungen weltweit Exportbeschränkungen auf
medizinische Produkte erlassen haben, die zur Bekämpfung der Corona-
Pandemie benötigt werden, beispielsweise Atemschutzmasken. Dies gilt auch
für die EU, Irans wichtigstem Handelspartner für Medizinprodukte.

Freier Handel zentral zur Pandemiebekämpfung, EU in Verantwortung

„In der Folge können lebenswichtige Produkte zur Pandemiebekämpfung weder
von der darniederliegenden heimischen Wirtschaft produziert noch aus dem
Ausland bezogen werden“, so Kamin. „Der freie Handel von medizinischen
Produkten ist jetzt ein zentraler Baustein, um die ärmsten Länder der Welt
in Asien, Lateinamerika oder im Nahen Osten bei der Bekämpfung der Corona-
Pandemie zu unterstützen. Je mehr sich die reichen Industrieländer
abschotten, desto härter trifft die Krise andere Staaten, die auf
medizinische Importe angewiesen sind.“

Der EU als zentralem westlichen Gesprächspartner und Global Player kommt
jetzt eine besondere Verantwortung bei der Stärkung multilateraler
Maßnahmen in Bezug auf Covid-19 zu, so die Autorinnen. So sollte sie etwa
die Kreditanfrage des Iran beim Internationalen Währungsfonds unterstützen
und sich für den freien Handel von wichtigen Medizinprodukten stark
machen. „Dafür muss sie natürlich selbst ihre Exportbeschränkungen
aufheben und dem Iran wieder als Handelspartner zur Verfügung stehen.
Ansonsten droht das Land sein Vertrauen in das Wohlwollen westlicher
Regierungen zu verlieren und diplomatische Lösungen im Streit um das
Atomabkommen dürften immer schwieriger werden“, so Kamin.

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