Ich hatte alles ausgehalten – vielleicht zu lange. Warum? Es war mir weh ums Herz beim Gedanken, meine sanftmütige, fröhliche Ahyoka mit den zwei Kleinen zu verlassen. Die Welt um uns hatte sich aber stark verändert.
Das Ende von New Helvetia
Hafen von St. Francisco Eduard Hildebrandt
Man baute in der Sierra ein Wegenetz aus, mit Stützpunkten und Hilfeleistungen. Hunderttausende kamen auf den ausgetretenen Pfaden herüber. Es war kein Vergleich mit den lebensgefährlichen Reisen in den Pionierjahren. Gewalttätige Einwanderer – Squatters genannt – besiedelten ohne Erlaubnis neue Gebiete, rodeten die Wälder, stahlen das Vieh von unserer Farm. Sie zur Rechenschaft zu ziehen war gefährlich; ein geladenes Gewehr hatten sie immer in Reichweite. Sutter wusste weder aus noch ein. Er wollte Land verkaufen und unterschrieb Vollmachten, um wenigstens Bargeld zu bekommen. Die meisten Farmen waren aber schon verpfändet, er hätte sie gar nicht verkaufen dürfen. Er verhandelte allerdings wieder mit Betrügern, die keine Vorzahlung leisten konnten, und es wurde nichts aus dem Verkauf. Wer wollte eigentlich wen bei diesen Geschäften reinlegen?
Als wir einmal mit der Barkasse zum Hafen hinunterruderten, wehte dort schon die amerikanische Fahne und rundherum hielten Yankee-Soldaten die Wache.
»Yerba Buena nau american?«, fragte ich einen von ihnen erstaunt.
»Notting Yerba Buena, feller. San Francisco!« antwortete er stolz, mit ebenso schlechtem Englisch.
Kalifornien wurde also ein Bundesstaat von Amerika. Wir hofften alle, dass die Gesetzlosigkeit ein Ende nehmen würde und Sutter erwartete von der Regierung Schadenersatz für seine grossen Verluste in der Landwirtschaft und eine Beteiligung am Goldgewinn: viele Millionen Dollar!
Er begann einen endlosen Kampf gegen den amerikanischen Staat.
Sollten die Landschenkungen des besiegten Mexiko von den USA anerkannt werden? Diese schwierige Frage konnte vorläufig niemand beantworten. Winkeladvokaten und ähnliche Wortverdreher witterten jedoch gleich das grosse Geschäft und kamen in Scharen zu uns; unzählige Schriftstücke wurden aufgestellt und weitergeleitet.
Washington aber – ohne vorerst irgendwelche Landansprüche gelten zu lassen – erkannte Sutters Hilfeleistungen für die amerikanischen Einwanderer und gab ihm einen pompösen Titel: Er wurde Generalmajor der kalifornischen Miliz.
Zum wievielten Male eine neue Anrede? Dieser Titel war allerdings der schönste.
Major-General John A. Sutter – nur ein Ehrenamt
Goldgräber circa 1850
Leider war es mit hohen Kosten verbunden. Der titelsüchtige Mann wurde aber in seiner eigenen Eitelkeit gefangen und ein letztes Mal kamen in ihm Glücksgefühle auf. Es war wieder wie in vergangenen Zeiten: grosse Feste mit erlesenen Weinen und Zigarren für die Gratulanten, Paradeuniformen für sich selbst und seine wenigen Angestellten. Gott weiss, wo er erneut Geld auftreiben konnte, seine Kasse war ja leer; wir Schweizer wussten es am besten.
Ich war empört. Während die Taugenichtse mit Pasteten gefüttert wurden, konnte er seit Jahren keinen Sold zahlen. Er gab uns höchstens hie und da ein kleines Stück Ackerland, was aber niemand kaufen wollte. Ich fühlte mich auch einsam; die anderen Schweizer waren schon von dannen und die rohen Sitten der Squatters widerten mich an.
Als ich mich endlich entschied, in die Heimat zurückzukehren, hatte Sutter schon alles bereut und mit Tränen in den Augen nahm er Abschied von mir.
»Ich war so dumm … sie betrogen mich vorne und hinten.«
Wie wahr! Viele Schurken hatte er reich gemacht – den wenigen, die ehrlich waren, konnte er bloss freundliche Worte geben.
Ich dachte ernsthaft daran, Ahyoka und die Kleinen mitzunehmen. Sutter gab mir den Rat: »Tu es nicht! Sie würden in deinem Schweizer Dorf zugrunde gehen. Lass sie zu ihrem Stamm zurückkehren! Sie ist jung, wird noch einen neuen Mann finden. Es ist besser so für alle.«
Wie Recht er hatte! Ausgestossen, unverstanden in einer fremden Welt zu leben ist für Indianer schlimmer als der Tod.
Sutter's Fort ruins painting by Calthea Vivian
Einmal war es so weit. Ich drückte die letzten Goldklümpchen, die ich insgeheim bewahrte, in Ahyokas Hand, küsste die halbnackten Kleinen, die friedlich im Staub spielten und marschierte mit meinen Siebensachen den Hügel hinunter zu New Helvetia. Es hiess jetzt Sacramento-City und war die Hauptstadt von ganz Kalifornien. Auf dem Fluss ruderte ich zum Hafen, der immer amerikanischer wurde, man hörte kaum mehr ein spanisches Wort. Bald ergab sich die Gelegenheit, mit einem Frachtschiff als Hilfsmatrose ohne Bezahlung die grosse Reise anzutreten.
Ich ging so arm heim wie einst gekommen.
In meinem Heimatdorf war fast alles beim Alten
Schweizer im Goldrausch
Die Eltern lebten nicht mehr, ihr kleines Bauernhaus hatte ich ausgebessert und in Besitz genommen. Oft dachte ich mit Wehmut an meine Indianer-Familie zurück: Werden meine Kinder sich ans freie Leben gewöhnen können? Wird der Stamm noch genug Jagdgründe haben?
Doch die Erinnerungen wurden nach einer Weile blass, und die Zukunft schien mir immer wichtiger. Mit 40 Jahren konnte ich noch ans Heiraten denken und hoffen, dass ich meine Schweizer Kinder heranwachsen sehe.
Nachrichten aus Amerika erreichten mich hie und da.
Der arme General war den brutalen Neusiedlern im Weg. Als sie zuletzt sein Wohnhaus in Brand steckten, machte er sich auf nach Washington, um für seine Sache zu kämpfen. Irgendeine Pension aus Gnade wurde ihm vorläufig zugesprochen, doch die Gesetzvorlage zu seinen Gunsten wurde vom Kongress immer wieder vertagt.
In der Basler Zeitung las mein Sohn neulich einen kurzen Bericht über seinen Tod in der amerikanischen Hauptstadt. Er starb wohl an gebrochenem Herzen.
Johann August Sutter Gemälde von Franz Buchser
Ich grübelte viel über Sutter – seine Laufbahn hatte Höhen und Tiefen erreicht wie kaum bei einem anderen Menschen.
Wer war er wirklich?
Ein echter Pionier und Held, wie wir ihn in seinen grossen Jahren erlebten – oder ein Kleinkrimineller, der in der Schweiz steckbrieflich gesucht wurde?
Einerseits war er ein Prahler und Lügner – andererseits ein guter Mensch, das kann ich selbst bezeugen. Aber wie konnte er seine eigene Familie jahrelang in der bittersten Armut leben lassen?
Sutter starb 1880 im Mades Hotel Washington
Er verstand nichts von der Industrie, trotzdem schuf er Werkstätten, Fabriken, Mühlen und damit die Anfänge der kalifornischen Industrie.
Ohne landwirtschaftliche Erfahrung hatte er den Mexikanern bewiesen, dass man im grossen Binnental Weizen anbauen kann. Später zeigten seine prächtigen Obstanlagen den Amerikanern, was der gesegnete Boden dort hergibt.
Ordnungsgemäss Geschäft führen konnte er nie, sonst wäre er vielleicht der reichste Mann Amerikas geworden.
Er war ein Betrüger und wurde selbst während seiner glanzvollen Laufbahn so oft bitter betrogen!
Soldat war er am allerwenigsten, trotzdem beendete sein Leben als Major-General der amerikanischen Armee.
All diese Widersprüche in Sutter haben mich immer wieder beschäftigt und über meine eigenen Gefühle war ich nie im Klaren. Habe ich ihn bewundert, verachtet oder beneidet?
Zuletzt ganz gewiss tief bedauert.
Er war ein Mensch voller Wiedersprüche – wer wird ihn jemals verstehen?
YouGovs Corona-Tracker-Ergebnisse von September 2020 bis März 2021 zur Frage, ob die deutsche Regierung gut oder schlecht mit der Corona-Krise umgehen Mitte März 2020 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Ausbruch des Coronavirus zur Pandemie erklärt. Der YouGov-Corona-Tracker hat seitdem kontinuierliche Daten rund um das Coronavirus erfasst. Die Einschätzung der Deutschen, die Regierung gehe gut mit dem Coronavirus um, lag seitdem konstant auf hohem Niveau. Ihren Höhepunkt erreichte sie Mitte April 2020, als 73 Prozent der Deutschen die Angabe machten, die Regierung gehe gut mit der Krise um.
Der Blick auf die vergangenen sieben Monate zeigt, dass sich die Einschätzung der Deutschen zu dieser Frage durch die zweite Corona-Welle, den langen Winter-Lockdown und den Impfstart verschlechtert hat. Schätzten im September noch 63 Prozent den Umgang der Regierung als gut an, sank die Zahl im Dezember 2020 auf 53 Prozent und im Februar auf 43 Prozent. Aktuell bescheinigen nur noch 35 Prozent der Befragten der Regierung einen guten Krisenumgang.
Zu Beginn von 2021 erstmalig häufiger kritische als lobende Stimmen
Zu Beginn des Jahres 2021 war die Zahl jener, die den Regierungsumgang mit der Krise negativ bewerteten, erstmals höher als die Zahl der Positivgestimmten: Im Januar 2021 hatten 49 Prozent ein negatives und 46 Prozent ein positives Bild. Mittlerweile, Mitte März 2021, geben sogar 59 Prozent zu Protokoll, den Umgang der Regierung mit der Pandemie schlecht zu finden.
Dies sind Ergebnisse des regelmäßig aktualisierten COVID-19-Trackers der internationalen Data & Analytics Group YouGov, für den vom 22.-24. September 2020 2.113 Personen, vom 20.-22. Oktober 2020 2.085 Personen, vom 17.-19. November 2020 2.073 Personen, vom 29.-31. Dezember 2020 2.051 Personen, vom 26.-28. Januar 2021 2.035 Personen, vom 24.-26. Februar 2021 2.039 Personen und vom 9.-11. März 2021 2.054 Personen mittels standardisierter Online-Interviews befragt wurden. Die Ergebnisse sind gewichtet und repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren.
Kiel Institut Medieninformation 2021-01 Brexit v02 A 5000x3751 DE
Großbritannien zählt nach wie vor zu den wichtigsten Handelspartnern jedes Bundeslandes. Alleine im Verarbeitenden Gewerbe arbeiten rechnerisch mindestens knapp 190.000 Menschen für den Export auf die Insel, davon knapp 50.000 in Bayern. Relativ gesehen ist der Export nach Großbritannien für das Saarland am wichtigsten. Im Branchenvergleich sind in der Automobilindustrie und dem Maschinenbau die meisten Arbeitsplätze vom Absatz im Vereinigten Königreich abhängig.
Laut Analyse lassen sich in Deutschland etwa 188.000 Arbeitsplätze im Verarbeitenden Gewerbe direkt dem Export nach Großbritannien zurechnen. Ein Großteil davon entfällt auf die großen industriereichen Bundesländer. In Bayern sind dies fast 48.000 Beschäftigte, in Baden-Württemberg fast 38.000 und in Nordrhein-Westfalen gut 31.000.
Relativ betrachtet sind in kleineren Bundesländern am meisten der Beschäftigten vom Export ins Vereinigte Königreich abhängig. Am größten ist die Bedeutung im Saarland mit 5,4 Prozent und in Bremen mit 4,7 Prozent, gefolgt von Bayern mit 3,6 Prozent. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 2,9 Prozent. In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sind sowohl absolut als auch relativ die geringste Anzahl an Industrie-Beschäftigten auf den Absatz in Großbritannien angewiesen.
„Die Zahlen sind als Untergrenze zu interpretieren, da die dem Export indirekt zuzurechnende Beschäftigung in den Zulieferindustrien sowie die exportabhängige Beschäftigung in Kleinunternehmen bei den Berechnungen nicht berücksichtigt werden kann“, so Schrader.
Autoindustrie und Maschinenbau: fast die Hälfte aller Stellen des UK- Exports
Im Branchenvergleich hat das Vereinigte Königreich für die Beschäftigten in der Automobilindustrie und im Maschinenbau die höchste Relevanz. Fast die Hälfte aller Industrie-Arbeitsplätze, die am Export nach Großbritannien hängen, sind dort angesiedelt. In der Automobilindustrie sind es 52.000 Stellen (30 Prozent), im Maschinenbau 31.000 Stellen (18 Prozent).
Schrader: „Es gibt allerdings keinen Automatismus, nach dem entsprechend zu einem Rückgang des Exports nach Großbritannien auch in gleichem Ausmaß Stellen verloren gehen. Unternehmen können sich alternative Absatzkanäle suchen, eine solche Anpassung fällt unter Pandemiebedingungen ebenso wie in Zeiten einer lahmenden Konjunktur aber natürlich umso schwerer.“
Trotz eines Exportrückgangs in den letzten Jahren zählt Großbritannien in allen Bundesländern nach wie vor zu den wichtigsten Handelspartnern. Im Fünfjahres-Zeitraum 2015 bis 2019 exportierte das Saarland 14 Prozent seiner Ausfuhren ins Vereinigte Königreich, Bremen 8,6 Prozent, Sachsen- Anhalt 8,1 Prozent. Der Bundesdurchschnitt lag bei 6,7 Prozent. Schlusslicht war Brandenburg mit 3,3 Prozent.
Das Leben bot uns in St. Louis keine Aussichten mehr. Wir waren dabei, die Rückkehr nach Europa vorzubereiten und sparten schon das Geld für die Überfahrt. Aber eines Tages, als ich im Lagerhaus die stinkenden Biberhäute sortierte, suchte Kyburz aufgeregt nach mir.
»Nachrichten von Sutter, erstaunliche Nachrichten! Er hat sich durchgeschlagen und ist in Kalifornien angekommen! Der Gouverneur schenkte ihm viel Land, er ist wieder ein grosser Herr und sucht Feldarbeiter, Handwerker - vor allem aber Schweizer. Die Kolonie heisst: Die Neue Schweiz!«
Wir kamen in Aufregung. Konnte diese Nachricht stimmen? Würde Kalifornien für uns eine Zukunft bieten? Der Gedanke war fast zu schön, um wahr zu sein.
Bald kamen jedoch Trapper, Jäger und sprachkundige Indianer mit neuen Informationen in der Stadt an und wir konnten die Geschichte langsam zusammenreimen.
Aus Westport musste Sutter wieder vor den Schulden flüchten und war fast anderthalb Jahre unterwegs, auf höchst abenteuerlichen Wegen. Er zog erst mit einer kleinen Truppe auf dem Oregon Trail westwärts, der durch Fort Vancouver bis zum Ozean führte. Nachher segelte er mit Handelsschiffen nach Alaska und sogar nach Hawaii.
Wir fragten uns: »Wie hatte er es bloss geschafft, solche Strecken zu reisen? Schon wieder freundliche Helfer und Investoren gefunden?«
Er landete jedenfalls in Nord-Kalifornien im Hafen von Yerba Buena, sprach bei dem Gouverneur vor und bekam Erlaubnis, Land zu besetzen, wo es ihm beliebte.
Californios 19. Jahrhundert
Ihr müsst wissen, damals war Kalifornien sporadisch, nur entlang der Küste von Weissen spanischer Abstammung besiedelt, den «Californios». Die Arbeit machten die zum Christentum bekehrten Indianer, die sogenannten Missionsindianer, sie waren praktisch als Sklaven gehalten. Landeinwärts in die Flusstäler oder höher in die Berge wagte sich niemand, es war unbekanntes Land, voll von Gefahren und feindlichen Indianern.
An der Küste wurden Sutter also schöne Ländereien angeboten, doch er wollte nicht unter den Californios bleiben, viel mehr sein eigener Herr und Meister sein. So liess er sich von Eingeborenen auf dem Fluss Sacramento stromaufwärts rudern, um einen Platz im Landesinnern auszusuchen, wo es noch keine Siedlung gab.
Es war ihm bald gelungen, einige weisse Arbeiter und willige Indianer einzuspannen und die ersten Gebäude zu errichten. Die Leute berichteten:
»Seine Siedlung wächst und wächst! Häuser und Werkstätten entstehen, der Boden wird bebaut und jede Arbeiterhand ist bei ihm willkommen. Seine Kolonie heisst auf Spanisch: Nueva Helvetia.«
Wir waren sprachlos. Das alles kostete Geld, viel Geld sogar, auch wenn die Landschenkung gratis war! Woher kam es? Hatte er endlich Gewinne gemacht? Aber trotz all den Zweifeln keimte in uns die Hoffnung auf, dass in der neuen Siedlung auch wir unser Glück machen könnten.
North California Pinterest
Woche für Woche kamen wir abends zusammen, fantasierten über ein neues Leben in Kalifornien, lernten ein paar Brocken Spanisch, rechneten die minimalen Reisekosten aus - und warteten. Immer öfter tauchten nämlich Amerikaner von der Ostküste auf, die in grösseren Gruppen die Überquerung wagten. Kaum kamen sie bei uns an, wollten sie so schnell wie möglich Richtung Abend weiter. Die Warnungen, dass die Berge in der Winterzeit den sicheren Tod bedeuteten, wollten die Ungeduldigen gar nicht hören. Wir dachten uns: Bei vernünftiger Planung sind wir bei der nächsten Karawane auch dabei.
Endlich kamen günstigere Zeiten. Wir sagten den wenigen Freunden Lebewohl, schnürten die Säcke mit Kleidern und Proviant und bestiegen die teuer gekauften Pferde mit dem ängstlichen Gebet: »Lieber Gott hilf uns, dass wir unsere Tiere in grösster Not nicht verzehren müssen!«
Um die Reise zu beschreiben, fehlen mir fast die Worte. Hitze, Kälte, Überschwemmungen und Dürre, alles kam auf uns zu – das allerschlimmste waren aber die Berge. Die Ochsenkadaver, die umgekippten Karren, die einfachen Holzkreuze auf kleinen Erdhaufen: Wir hatten alles abgesucht, nach Brauchbarem und Essbarem. Kinder starben und wurden geboren, während die Mütter mit ihrem Heulen das tägliche Leiden noch schwerer machten.
Aber endlich, beim langsamen Abstieg ins grüne Sacramento-Tal spürten wir so was wie ein Siegesgefühl. Zum Reden hatten wir kaum noch Stimme. Unsere entkräfteten Pferde an den Kandaren führend, sahen wir endlich grüne Weiden und Weizenfelder. Die ersten Arbeiter in Sichtweite liefen zu uns, brachten Wasser und Brot, und ein Junge rannte schon voraus, um die Nachricht in der Siedlung zu verbreiten.
Der Patron selbst begrüsste uns am offenen Tor. Wie gross war seine Freude, Schweizer und sogar alte Bekannten zu sehen!
»Auf Leute aus der Schweiz kann man sich verlassen, sie sind immer genau und streng ehrlich«, das waren seine Worte. Wir hatten Tränen in den Augen vom warmen Empfang, sicherlich auch von der Erschöpfung.
Wir wurden also Bewohner von Nueva Helvetia – Neu-Helvetien - auf mexikanischem Boden. Sein Gründer war Kommandant, Farmer, Patriarch, Friedensrichter und König in einer Person, mit dem stolzen Titel: Juan Agosto Sutter Capitano.
Die Neue Schweiz und ihre Bewohner
Sutter'sFort from Gleason's Pictorial Drawing Room Companion
Wie könnte ich diese Siedlung am besten beschreiben? Während unserem Aufenthalt wurde sie immer weiter ausgebaut. Der Mittelpunkt der Kolonie war eine richtige Festung, mit Wehrmauern und zwei Kanonen vor dem imposanten Tor; man nannte sie ›Sutters Fort‹. Im Hauptgebäude gab es Platz für das Kontor und für die privaten Räume des Capitano, daneben standen Lagerschuppen, Werkstätten und Hütten für die Arbeiter. Die meisten waren Indianer, aber entlaufene Matrosen und andere Durchreisende fanden auch Unterkunft und Arbeit hier – leider auch manches Lumpenpack. Sutter konnte nicht wählerisch sein, denn er wollte sein kleines Reich bevölkern und sogar übers Fort hinaus ausdehnen. Deshalb empfing er jeden Einwanderer generös und versorgte die zerlumpten, ausgehungerten Gestalten, bis sie wieder zu Kräften kamen. Viele zogen nachher einfach weiter, manchmal ohne sich für die grosse Hilfe bedankt zu haben, aber das schien Sutter nicht weiter zu kümmern. Er hatte übrigens nach einem Jahr die mexikanische Staatsbürgerschaft und den offiziellen Brief über die Landschenkung bekommen, ausserdem wurde er militärischer Befehlshaber im ganzen Sacramento-Tal. Praktisch bedeutete das nur seine eigene Siedlung, weil es etwas anderes damals noch nicht gab. Trotzdem ein schöner Erfolg für den Mann, der von einer militärischen Laufbahn träumte, dreimal Pleite machte und auf der Flucht vor Gläubigern war!
Dennoch: Sutter hatte einige wunderbare Charakterzüge, die ich nicht genug hervorheben kann. Wir spürten seine echte Herzensgüte und ein Verantwortungsgefühl für die Leute, die bei ihm anklopften. Nicht nur das Schicksal seiner Kolonie lag ihm am Herzen, sondern auch das Wohlergehen jedes Einzelnen – er half oft, ohne daraus Nutzen zu ziehen.
Eine andere erstaunliche Eigenschaft war sein Umgang mit den Indianern. Nie hatten wir - zuvor oder danach - einen Weissen erlebt, der so verständnisvoll und klug mit ihnen verhandeln konnte. Er hatte nach anfänglichen Reibereien sogar die Wilden für seine Zwecke eingespannt. Ich meine die freien, nicht bekehrten Indianer. Sie jagten für ihn, machten die Flussfahrten hinunter zum Hafen, arbeiteten bei seinen Mühlen und auf den Feldern. Zum geschenkten Land pachtete Sutter grosse Wälder und Wiesen von ihnen, so entstand allmählich ein kleines Reich, das wirklich nur ihm gehörte.
Für die Eingeborenen war die regelmässige Arbeit jedoch ungewohnt und sie erfüllten ihre Aufgaben am Anfang mehr schlecht als recht. Ein Indianer wollte grundsätzlich nicht arbeiten, für ihn war das reine Frauensache. Dass so viele es doch taten, oder wenigstens versuchten, war ein kleines Wunder und nur Sutter zu verdanken. Er konnte im Notfall auch harte Strafen erteilen, deshalb nannte man ihn mit Bewunderung Indianerbezwinger. Womit er die Wilden für sich gewinnen konnte? Ich weiss nicht. Aber er behandelte sie halt anders als die hochmütigen Mexikaner.
Aber genug des Lobes, sonst denkst Du, geschätzter Leser, dass wir ein Paradies vorgefunden hätten. Es war unerhört, was Sutter in der Wildnis auf sich genommen hatte, ohne Werkzeuge, landwirtschaftliche Geräte und Facharbeiter. Trotz erstaunlichen ersten Erfolgen war das Leben in der Siedlung sehr mühsam: knochenharte Arbeit unter den einfachsten Bedingungen und je nach Ernte wenig oder kaum was zum Essen. Das eigene Brot schmeckte den Hungrigen schon, aber so was Grobes hatte ich nie im Leben gekostet. Manchmal mussten die Indianer sogar ihren alten Lieblingsbeschäftigungen nachgehen: sie sammelten Eichen und Heuschrecken und buken ein Brot daraus.
Ein anderes Problem war, dass auf einem kleinen Areal viel zu viele Menschen wohnten. Zwar konnten wir Weissen aus Lehmziegeln kleine Häuser bauen - die Indianer hatten nur Grashütten – doch wegen dem allgemeinen Schmutz, Lärm und den Insektenplagen waren wir auch nicht bessergestellt. Das Wasser war knapp, Textilware ebenso; die wenigen Kleidungsstücke, die die Indianer bekommen hatten, wurden von ihren Eigentümern oft auf Ästen und Büschen als Opfergabe für die Götter aufgehängt. Die kleinen Halbindianer rannten im Hof splitternackt herum, Sutter konnte höchstens einige Baumwoll-Hemdchen austeilen, wenn von der mexikanischen Regierung hoher Besuch kam.
Aber warum Halbindianer? Damit habe ich die Sitten in der Siedlung angedeutet. Die kräftigen Männer, voll im Saft, fanden weit und breit nur Squaws, das heisst Indianerfrauen. Für ihre Männer war es kein Problem, ein Weib mit einem anderen Mann zu teilen, sogar Vielweiberei war bei den Sacramento-Indianern gang und gäbe. Sutter ging leider mit dem schlechten Beispiel voran: er behielt für sich gleich zwei schöne Mädchen, die in seinem Vorzimmer kauerten und zu seiner Verfügung standen. Ausserdem fühlte sich jede andere Indianerfrau geehrt, wenn der grosse Herr sie zu sich bestellte.
Für meine bäuerliche Seele waren diese Freizügigkeiten zu viel – die Natur meldete sich auch bei mir, aber ich konnte und wollte nicht auf diese Art leben. Ich wählte ein hübsches, scheues Mädchen aus, nahm es zu mir in die Hütte und wir lebten zusammen als Mann und Frau. Ihr Name Ahyoka bedeutete: «Sie brachte Fröhlichkeit». Sie wurde diesem Namen gerecht und erhellte meinen harten Alltag. Den anderen Männern hatte ich ganz klar zu verstehen gegeben, dass sie nur zu mir gehörte. Sie hatten meinen Entscheid respektiert, Sutter ebenfalls - bei ihm war halt alles möglich, Einweiberei auch.
Alkohol, Finanzen und Politik
Pelzhandel im Nordamerika 19. Jahrhundert Wikipedia
Langsam lernte ich die grössten Probleme der Kolonie kennen, die auch zu Sutters Untergang führen sollten. Das Trinken war ein wahrer Fluch, der sich immer mehr verbreitete, nachdem wir eine Schnapsbrennerei in Betrieb nahmen. Hier ging Sutter auch mit dem schlechten Beispiel voran, er trank zu oft und zu viel. Nicht zu glauben waren die Finanzen! Auch dieses Unternehmen war völlig auf Kredit aufgebaut. Und mit dem Zurückzahlen war es so, wie es bei Sutter immer war: Es ging nur mit Hilfe neuer Kredite. Mal war die Ernte miserabel, mal das Vieh abhandengekommen, mal frassen zu viele Gäste die Reserven auf. Die Barkasse, die für uns die wichtigste Lebensader bedeutete, wurde im Hafen von den Gläubigern mehrmals in Beschlag genommen. Von überall kamen Beschwerden, Drohbriefe und nach allen Himmelsrichtungen musste Sutter neue Versprechungen schicken – ein wahrer Künstler, der so etwas jahrelang mit Erfolg durchhalten kann.
Zudem bescherte uns die hohe Politik sogar einen Krieg! 1845 kam es zur Rebellion, die Californios wollten nämlich einen unabhängigen Staat ausrufen, und die Regierung von Mexiko antwortete mit einem Feldzug gegen sie. Auch Sutter wurde aufgefordert, als treuer Staatsbürger mit seinen Truppen nach Süden zu marschieren. Er wurde sogar zum Hauptmann der mexikanischen Armee ernannt, er trug diesen Titel also das erste Mal rechtmässig. Der kleine, eitle Mann war am Ziel seiner Träume, endlich konnte er als echter Soldat in den Krieg ziehen! Exerzierte doch seine kunterbunte Truppe gewohntermassen jeden Abend im Hof: Indianer, Mestizen, Weisse, alle unterschiedlich gekleidet in gefundenen, gestohlenen oder selbst genähten Uniformen.
In einem Krieg unter Mexikanern wurde aber kein Schuss abgefeuert, denn sie waren alle untereinander verschwägert. Es bedeutete nur: marschieren, drohen, verhandeln, wieder marschieren - um schlussendlich einen Friedensvertrag abzuschliessen. Diese Militärparade kostete Sutter unendlich viel Geld, und nach seiner Rückkehr stellte er verzweifelt fest, dass die Indianer während seiner Abwesenheit gar nicht gearbeitet hatten. Die Ernte war verfault, das Vieh verwahrlost. Und gerade jetzt hätte er bei einem guten Ertrag etwas von seinen Schulden abtragen können!
Die grössten Schwierigkeiten verursachte aber sein gutes Herz. Er war in hohem Mass hilfsbereit gegenüber Fremden und diese waren immer öfter Amerikaner, die sich hier niederlassen wollten. Sutter erzählte später:
»Manchmal waren meine Häuser so voll von Emigranten, dass ich selbst kaum einen Platz zum Schlafen finden konnte.«
Mexiko sah mit Angst zu, wie die USA durch Kauf oder Kampfhandlungen neue, riesige Gebiete eingenommen hatten. Der Drang des jungen Staates nach mehr Lebensraum war offensichtlich und nach der Besetzung von Texas wusste jeder: Es war nur eine Frage der Zeit, dass auch Kalifornien amerikanisch wird. Die mexikanische Regierung erkannte zu spät, was unser kleines Reich im Sacramento-Tal für die Einwanderer bedeutete: einen sicheren Hafen, Lebensrettung, Überbrückungshilfe und vieles mehr. Tausende Amerikaner von der Ostküste waren schon unterwegs gegen Westen, wo diese Siedlung eine Schlüsselrolle für sie spielen würde.
»Wer Sutters Fort hat, hat Kalifornien«, sagten alle, manche in Siegesfreude, andere mit Schrecken.
Die mexikanische Regierung war voller Hass gegen Sutter - trotz seiner Militärparade - und wollte ihm das Fort sogar abkaufen. Die Verhandlungen zogen sich in die Länge, während der Krieg mit den Amerikanern im Süden schon angefangen hatte.
Planwagen 19. Jahrhundert Wagons History
Aber Kalifornien war gross und im Norden herrschte noch Windstille. Weil Sutter dringend neue weisse Siedler brauchte, nahm er weiterhin die erschöpften Menschen nach der Überquerung der Sierra Nevada in seiner Siedlung mit offenen Armen auf. Er pflegte und fütterte sie und gab ihnen allzu gern Arbeit, wenn sie bleiben wollten. Sie kamen in Scharen und immer mehr wollten bleiben, manche allerdings als selbstständige Farmer. Aber auch sie liefen zuerst zu Sutter, und er half, wo er nur konnte. Ganze Familien liessen sich nieder, neue Dörfer und Farmen entstanden, das Tal wurde immer höher bewohnt und bewirtschaftet. Der Patron war überzeugter denn je: Die Zukunft heisst Amerika!
Einmal kam sogar ein Schiff mit 150 Mormonen im Hafen an. Sie waren unterwegs zum Grossen Salzsee, wo sie mit ihren Gleichgesinnten einen Gottesstaat gründen wollten. Ihr Apostel aber schickte ihnen eine Botschaft entgegen:
»Bleibt wo ihr seid, bis es möglich ist, im neuen Reich Utah
Brot für alle anzubauen!«
Was für ein Segen für Sutter! Die Mormonen waren die besten Handwerker, Weber und Schmiede, die wir je gesehen hatten. Wenn man ihre Religion nicht verspottete, benahmen sie sich friedlich und enthaltsam, ganz im Gegenteil zur üblichen rohen Bande.
Endlich gute Aussichten …
Johann August Sutter um 1835
Sutter war noch lange nicht aus dem Schneider, aber voll guten Mutes, dass sich in einem Jahr alles zum Besten wenden wird. Wir Schweizer hofften auch, dass er uns anständigen Sold zahlen würde und wir mit einem kleinen Vermögen nach Europa zurückkehren konnten. Inzwischen wurde ich Oberfuhrmann, der Aargauer Samuel Kyburz Hausmeier, und ein tüchtiger Kerl aus dem Glarus, Heinrich Lienhard, Schlüsselwart seines ganzen Reiches.
Sutter Desk in Sutter's Fort State Historical Park
Im Jahr 1848 war die Saat vielversprechend, das Vieh gedieh gut und Sutter war angesichts der schönen Felder voll des Lobes. Er trug sich mit grossen Plänen: Zum Beispiel wollte er eine neue Getreidemühle bauen, die den Weizen auch für den Markt verarbeiten konnte. Sein Lieblingsprojekt war aber die Errichtung eines Sägewerks, um das Bauholz selbst zu produzieren, sowohl für die eigenen Farmen als auch für den Verkauf. Er hoffte, dadurch alle seine Schulden begleichen zu können und sogar reich zu werden, weil Bauholz für die neuen Siedlungen das Wichtigste war.
»Ich bin bald aus meinen Schwierigkeiten heraus«, pflegte er zu sagen. Sein immer freundliches Wesen strahlte noch mehr Zuversicht aus als sonst.
Für die Sägemühle hatte er allerdings eine merkwürdige Stelle ausgewählt: 50 Meilen vom Fort entfernt, oben am wilden Amerikanerfluss. Viele schüttelten die Köpfe und hielten die Lage für ungeeignet.
»Wieder eine von Sutters Verrücktheiten. Man muss das gesägte Holz durch Schluchten hinunterflössen. Das wird schwierig!«
Da er jedoch darauf bestand, fingen wir mit den Ausgrabungen an und er freute sich wie ein Kind über jede gute Nachricht von der Baustelle.
Bis eine verhängnisvolle Entdeckung alles zunichte machte!