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Politik

MÜNCHEN ALS 8. BAYERISCHER REGIERUNGSBEZIRK?!

Positionspapier aus der ARL 119 vertieft landespolitische Diskussionen um
Behördenverlagerung

Im Hinblick auf die stockenden Pläne der Bayerischen Staatsregierung um
die Errichtung eines "Regierungsbezirks München“ und die aktuelle
Diskussion um eine Verlagerung von Behörden aus München in die ländlichen
Räume informiert die ARL - Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-
Gemeinschaft erneut über das kostenfrei zugängliche Positionspapier 119.
Das Positionspapier wurde von einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe der
Landesarbeitsgemeinschaft Bayern der ARL 2020/21 erarbeitet und vertieft
die aktuellen Diskussionen zu diesem Thema aus raumwissenschaftlicher
Sicht: https://shop.arl-
net.de/media/direct/pdf/pospapier/pospapier_119.pdf.

Das Positionspapier kommt zu dem Ergebnis, dass nach den bestehenden
verfassungsrechtlichen Bestimmungen eine Konstituierung Münchens als
„landesunmittelbare“ Stadt bzw. die Schaffung eines neuen (achten)
Regierungsbezirks, der nur die Landeshauptstadt München umfasst,
ausgeschlossen ist. Unabhängig davon sprechen auch gravierende fachliche
Erwägungen dagegen, da die Metropolfunktionen von München und die damit
zusammenhängenden urbanen Strukturen sich längst auf die gesamte Region
München ausgedehnt haben. Das Positionspapier plädiert deshalb dafür, dass
der neue (achte) Regierungsbezirk zumindest die gesamte Region München
umfassen muss. Das „Einziehen“ einer weiteren Verwaltungsgrenze innerhalb
des Gebietsumgriffs der Region würde die Aufgabenwahrnehmung von München
als europäische Metropole und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit bremsen. Für
„Rest“-Oberbayern ist ein zweigeteilter Regierungsbezirk mit zwei
getrennten, weit auseinanderliegenden Gebieten vor allem aus
verwaltungsökonomischen, verkehrlichen und wirtschaftsstrukturellen
Gründen zu vermeiden. Präferiert wird die Zusammenführung der Gebiete der
Regionen München und Ingolstadt zu einem neuen Regierungsbezirk
„Nordoberbayern“ und einem aus den Gebietsumgriffen der Regionen Oberland
und Südostoberbayern gebildeten Regierungsbezirk „Südoberbayern“. Dies
würde nach den gültigen verfassungsrechtlichen Bestimmungen auch eine
entsprechende Änderung der Grenzen der Bezirke nach sich ziehen.

In Anbetracht geänderter Anforderungen im internationalen
Standortwettbewerb kommt der Reform tradierter Planungsstrukturen in der
Region München besondere Bedeutung zu. Das Positionspapier fordert deshalb
auch eine Neuausrichtung der Regionalplanung in der Region München,
verbunden mit einer institutionellen Stärkung, einer Erweiterung des
Aufgabenspektrums und einer Verbesserung der finanziellen und personellen
Ressourcen. Darüber hinaus bedarf effizientes staatliches Handeln auf der
mittleren Ebene der allgemeinen inneren Verwaltung der engen Kooperation
mit weiteren leistungsfähigen öffentlichen und privaten Partnern.  Dem
Prinzip der Einräumigkeit folgend, sind deshalb gegebenenfalls auch
Reformen in anderen Organisationen, so etwa im Spektrum der Wirtschafts-
und Arbeitsmarktverwaltung, angezeigt.

Wie immer sich die Staatsregierung entscheidet, für jede Modifikation der
bisherigen Abgrenzung der Regierungsbezirke sollte der Handlungsbedarf
detailliert ermittelt und transparent sowie plausibel dargelegt werden.
Auch eine Effizienzprüfung, die den Reformprozess begleitet und
kontrolliert, wird als dringend erforderlich gehalten.


Das Positionspapier enthält zentrale Ergebnisse und Empfehlungen der Ad-
hoc-Arbeitsgruppe „Verwaltungsneugliederung Südbayern“ der
Landesarbeitsgemeinschaft Bayern der ARL – Akademie für Raumentwicklung in
der Leibniz-Gemeinschaft.

Pressekontakt – bei Fragen oder um fachliche Ansprechpersonen zu
kontaktieren, wenden Sie sich bitte an:
Dr. Tanja Ernst
Geschäftsstelle der ARL/ Stabsstelle Wissenschaftskommunikation
Tel. +49 511 34842-56
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

***
Die ARL – Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft
Aufgabe der ARL ist die wissensbasierte Analyse und Beratung zu aktuellen
Fragen nachhaltiger Raumentwicklung. Komplexe gesellschaftliche
Herausforderungen erfordern integrative und damit inter- und
transdisziplinäre Perspektiven. Die spezifische Arbeitsweise der ARL –
transdisziplinär und netzwerkförmig – ermöglicht das enge Zusammenwirken
und den umfassenden Austausch von Wissenschaft und Praxis.  Die ARL macht
ihre Arbeitsergebnisse allen fachlich Interessierten sowie politisch-
administrativen Verantwortlichen dauerhaft zugänglich. Zugleich erzeugt
der Wissenstransfer der ARL einen weiteren Mehrwert: die Ko-Produktion von
Wissen erweitert die fachlichen und sektoralen Perspektiven, fördert
Innovation und fließt in die hauptberuflichen Tätigkeiten der Mitwirkenden
aus Akademie und Netzwerk ein.
Die Landesarbeitsgemeinschaften (LAG) der ARL sind ein Forum für regional
orientierte Forschung und für den Informationsaustausch auf Länderebene.
Sieben Landesarbeitsgemeinschaften decken das Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland ab.

Originalpublikation:
https://shop.arl-net.de/media/direct/pdf/pospapier/pospapier_119.pdf

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Zu jung für Politik? Von wegen!

Politische Bildung in Kindheit und Jugend ist Thema der neuen Ausgabe des
Forschungsmagazins DJI Impulse

Die Demokratie steht vor großen Herausforderungen: Krisen wie die aktuelle
Corona-Pandemie oder der Klimawandel, aber auch Globalisierung, Migration
und Digitalisierung verlangen der demokratischen Lebens- und
Gesellschaftsform vieles ab. „In diesem Kontext bekommt die politische
Bildung, die jahrzehntelang ein Schattendasein führte, neue Relevanz“,
betont Prof. Dr. Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen
Jugendinstituts (DJI), anlässlich der neu erschienenen Ausgabe des
Forschungsmagazins DJI Impulse.

Unter dem Titel „Politische Bildung von Anfang an: Wie Kinder und
Jugendliche Demokratie lernen und erfahren können“ analysieren
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Herausforderungen in der
politischen Bildung. Entscheidende Weichen für demokratisches Handeln und
kritische Urteilskraft werden demnach in der Familie gestellt. Doch auch
weil Kinder und Jugendliche immer mehr Zeit in schulischen und
außerschulischen Bildungseinrichtungen verbringen, steigt deren Bedeutung
in der politischen Bildung.

Der These des aktuellen 16. Kinder- und Jugendberichts folgend, dass
politische Bildung auf ganz unterschiedliche Weise in der gesamten
Kindheit und Jugend stattfindet, zeigen die Autorinnen und Autoren des
Forschungsmagazins Potenziale auf, die in Kindertageseinrichtungen,
Schulen und der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit bislang nicht
ausreichend genutzt werden. So spielt die politische Bildung in Kitas und
Grundschulen noch immer ein eher untergeordnetes Thema. Nachholbedarf
identifizieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aber auch in
weiterführenden Schulen und der Kinder- und Jugendarbeit.

Durch den geplanten Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im
Grundschulalter sowie den generellen Ausbau der Ganztagsbetreuung in Kitas
und Schulen entsteht nicht nur die Chance, sondern auch die Notwendigkeit
politische Bildung in den Institutionen stärker zu verankern, lautet ein
zentrales Fazit der Autorinnen und Autoren. Zudem fordert der Präsident
der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), Thomas Krüger, im
Interview, politische Bildung zur „kritischen politischen Medienbildung“
weiterzuentwickeln, da demokratiegefährdende Inhalte durch soziale Medien
früh auf Kinder zukommen.

Das Forschungsmagazin DJI Impulse berichtet allgemein verständlich über
die wissenschaftliche Arbeit am DJI, einem der größten
sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitute in Deutschland. Regelmäßig
informieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über relevante Themen
aus den Bereichen Kindheit, Jugend, Familie und Bildung.

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„Putins Russland und die Sicherheit Europas"

Der Europaabgeordnete und Vorsitzende der EVP-Fraktion Manfred Weber und
Martin Hoffmann, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutsch-
Russischen Forums e.V., diskutieren am Frankfurter Center for Applied
European Studies

Zu einer Online-Diskussionsrunde mit dem Titel „Putins Russland und die
Sicherheit Europas“ lädt das Center for Applied European Studies (CAES)
für Montag, den 10. Mai 2021 ein. Die Veranstaltung ist Teil der Reihe
„Think Europe – Europe thinks“ an der Frankfurt University of Applied
Sciences (Frankfurt UAS). Seit der Krise um die Ukraine 2014 haben sich
Sanktionen gegen Russland zu einem beständigen Instrument der EU-
Außenpolitik entwickelt. Doch erreichen sie ihr eigentliches Ziel der
Veränderung der russischen Politik? Welche Konflikte und Potentiale
ergeben sich aus der schwierigen Partnerschaft? Und wie können die
diplomatischen Spannungen nach dem Fall Nawalny und wiederkehrenden
Menschenrechtsvorwürfen gelöst werden? Über die aktuellen Beziehungen
zwischen der EU und Russland sowie Implikationen für die Außen- und
Sicherheitspolitik der EU diskutieren der Europaabgeordnete und
Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP) Manfred Weber und
Martin Hoffmann, Geschäftsführer des Petersburger Dialogs e.V. und
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutsch-Russischen Forums e.V..
Die Veranstaltung findet virtuell statt und wird per Livestream via
Youtube übertragen. Die Teilnahme ist kostenlos. Um Anmeldung unter <www
.frankfurt-university.de/ThinkEurope> wird gebeten.

In der Reihe „Think Europe – Europe thinks“ des CAES richtet sich jeweils
eine Referentin oder ein Referent aus Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft
oder Politik impulsgebend an die allgemeine Öffentlichkeit. Die
Veranstaltung am 10. Mai findet als Gespräch statt, an das sich eine
Diskussion mit dem Publikum anschließt. Die Moderation des Gesprächs
übernimmt Prof. Dr. Dr. Michel Friedman, Geschäftsführender Direktor des
CAES.

Manfred Weber, MEP, Jahrgang 1972, begann noch vor dem Abitur seine
politische Karriere in der Jungen Union und studierte später Physikalische
Technik an der Fachhochschule München. Von 2003 bis 2007 wirkte er als
Landesvorsitzender der Jungen Union Bayern, seit 2008 hat er das Amt als
Bezirksvorsitzender der CSU Niederbayern inne. Weber war zudem
Vorsitzender der CSU-Zukunftskommission und von 2002 bis 2004 Mitglied des
Bayerischen Landtags, ehe er in das Europäische Parlament wechselte. Der
Diplom-Ingenieur (FH) ist seit 2004 Mitglied im Europäischen Parlament und
seit 2014 Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP).
Zudem wurde er 2015 zum stellvertretenden Vorsitzenden der CSU gewählt.

Martin Hoffmann, Jahrgang 1960, studierte Slavistik und Geschichte in
Münster und Moskau und arbeitete zunächst als Leiter für Seminar- und
Bildungsreisen, unter anderem in Russland, Amerika und China. 1992
übernahm er die Leitung und Organisation der Messe „Deutsche Kulturtage“
in verschiedenen russischen Städten für den Verein für deutsch-russische
Beziehungen „ARGE-OST“, der vom Auswärtigen Amt und dem Bundespresseamt
gefördert wird. Seit 1995 ist Hoffmann Geschäftsführer beim Deutsch-
Russischen Forum e.V., das als nichtstaatliche Organisation Kontakte
zwischen deutschen und russischen Entscheidungsträgern in Politik und
Wirtschaft fördert. 2001 wurde er als geschäftsführendes Mitglied in den
Vorstand des Vereins gewählt. Hoffmann ist zudem Geschäftsführer des
Vereins Petersburger Dialog, der im Jahr 2000 auf Initiative des deutschen
Bundeskanzlers Gerhard Schröder und des russischen Präsidenten Vladimir
Putin als bilaterale Konferenz gegründet wurde. Hoffmann ist Träger des
„Ordens der Freundschaft“, der höchsten Auszeichnung Russlands an
ausländische Bürger/-innen. Er befasst sich schwerpunktmäßig mit den
deutsch-russischen Beziehungen sowie der zivilgesellschaftlichen
Zusammenarbeit.

Zuletzt sprachen in der Reihe „Think Europe – Europe thinks“ die Juristin
und ehemalige Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
Prof. Dr. Dres. h.c. Angelika Nußberger und der Rechtswissenschaftler
Prof. Dr. Matthias Jestaedt zur Lage der Menschenrechte in Europa, der
Staatssekretär Clément Beaune und Staatsminister Michael Roth über die
Rolle des deutsch-französischen Verhältnisses für Europa sowie die
Journalistin Dr. Melinda Crane und Dr. David Deißner, Geschäftsführer der
Atlantik-Brücke e.V., zu den transatlantischen Beziehungen nach der Ära
Trump. Weitere Gäste waren Bundesjustizministerin Christine Lambrecht zu
„Rechtsextremismus und Hass im Netz“, Bundesaußenminister a.D. Sigmar
Gabriel zu „Europas Antwort auf Donald Trump – über das europäisch-
amerikanische (Un-) Verständnis“ sowie zur „Europawahl 2019 – zerbricht
Europa?“, der ehemalige Europa-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit zum Thema
„Die deutsch-französische Herausforderung nach der Europawahl“ und
Bundesaußenminister a.D. Joschka Fischer zu „Schicksalswahl für Europa!“.

Termin: Montag, der 10. Mai 2021, 18:00 bis 19:30 Uhr
Ort: Online via YouTube – Um Anmeldung unter <www.frankfurt-
university.de/ThinkEurope> wird gebeten

Programm „Think Europe – Europe thinks“ – Impulse des Center for Applied
European Studies (CAES)

Begrüßung
Prof. Dr. Martina Klärle, Vizepräsidentin Forschung, Weiterbildung und
Transfer der Frankfurt UAS

„Putins Russland und die Sicherheit Europas“
Gespräch zwischen:
Prof. Dr. Dr. Michel Friedman, Geschäftsführender Direktor, Center for
Applied European Studies (CAES)
Manfred Weber, Europaabgeordneter und Fraktionsvorsitzender der
Europäischen Volkspartei
Martin Hoffmann, Geschäftsführer Petersburger Dialog e.V.,
geschäftsführendes Vorstandsmitglied Deutsch-Russisches Forum e.V.

anschließend Diskussion mit dem Publikum via YouTube-Chat

Das Center for Applied European Studies (CAES):
Das interdisziplinär forschende Center for Applied European Studies
begleitet das Thema Europa wissenschaftlich und entwickelt
anwendungsorientierte Lösungsvorschläge für europäische Fragen und
Herausforderungen. Neben Forschungsprojekten und der Errichtung von Think
Tanks sollen anwendungsorientierte Bildungs-, Fort- und
Weiterbildungsmodule entwickelt werden. Um die „Erfindung“ Europas und
seiner Zukunft in einer öffentlichen Debatte zu ermöglichen, bietet das im
Juni 2016 an der Frankfurt University of Applied Sciences eröffnete
„Center for Applied European Studies“ Symposien, Vorträge und öffentliche
Veranstaltungen an. Die Veröffentlichung relevanter Forschungs- und
Diskussionsergebnisse ist ein weiteres wichtiges Ziel. Im Vordergrund der
Arbeit steht die Interdisziplinarität der Projekte. Durch den Austausch
der unterschiedlichen Fachbereiche der Frankfurt University of Applied
Sciences und einem internationalen Austausch werden neue Konzepte
entwickelt. Auch der Austausch von kulturellen, ökonomischen, politischen
und wissenschaftlichen Perspektiven soll weitere Erkenntnisse
hervorbringen und zur Diskussion stellen.
<www.frankfurt-university.de/caes>

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Kolumbien: "Es ist zu befürchten, dass die Situation weiter eskaliert"

m Zuge der Demonstrationen in Kolumbien kam es zu Gewalt, die laut
Medienberichten bereits mehr als 20 Todesopfer gefordert hat. Droht ein
Rückfall in den Bürgerkrieg? Wir haben nachgefragt bei Solveig Richter und
Ralf J. Leiteritz. Richter ist Heisenberg-Professorin für Internationale
Beziehungen und transnationale Politik an der Universität Leipzig. Sie
forscht im Rahmen ihres Heisenberg-Projektes der Deutschen
Forschungsgemeinschaft umfassend zum Friedensprozess in Kolumbien.
Leiteritz ist Professor für Internationale Beziehungen an der Universidad
del Rosario in Bogotá, Kolumbien, und weilt seit September 2019 als
Gastwissenschaftler an der Universität Leipzig.

Kolumbien ist in Aufruhr, schreibt die FAZ. Was ist da los?

Solveig Richter: Die Menschen sind zunächst vor allem aus Protest gegen
eine von Präsident Duque geplante Steuerreform auf die Straße gegangen,
die bei vielen sozial benachteiligten Personen und Gruppen auf heftigen
Widerstand stieß. Die Proteste weiteten sich aber schnell aus, denn
letztlich kulminierte darin die über Jahre seit der Wahl Duques 2018
angestaute Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung, vor allem auch
der jüngeren Generation. Im Zuge der zunächst weitgehend friedlichen
Demonstrationen kam es zu Gewalt, die auf Seiten der Protestierenden durch
den Einsatz von Polizei und Militär bereits mehr als 20 Todesopfer
gefordert haben. Heute findet ein weiterer landesweiter Streiktag statt,
und es ist zu befürchten, dass die Situation weiter eskaliert.

Ralf J. Leiteritz: Das Land ist relativ schlecht durch die Corona-Krise
gekommen und diese Unzufriedenheit mit der ökonomischen und sozialen Lage
weiter Teile der Bevölkerung knüpft an die großen Protestbewegungen gegen
die Regierung des rechtsgerichteten Präsidenten Iván Duque Ende 2019 an.
Insofern hat sich der Ärger der Leute nicht nur einfach zeitlich
aufgestaut, sondern wurde durch die Pandemie noch potenziert.

Jahrzehntelang tobte in dem Land ein Bürgerkrieg. Sie, Frau Richter,
forschen seit einigen Jahren zum Friedensprozess. Droht ein Rückfall?

Solveig Richter: Man muss ein bisschen unterscheiden zwischen dem
gewalttätigen Konflikt mit Gewaltakteuren wie etwa Rebellengruppen, der
sich ja eher in den ländlichen Gegenden und Territorien abspielte und
abspielt, und den gegenwärtigen gewalttätigen Protesten, die vor allem in
den Städten sind. Beides ist aber verbunden: Präsident Duque hat die
Regelungen aus dem Friedensvertrag mit der FARC von 2016 nur sehr
widerwillig umgesetzt, und damit viele positiven Entwicklungen im ganzen
Land ausgebremst. Die Hoffnungen, die viele in den Friedensprozess
setzten, haben sich daher nicht erfüllt – viele strukturelle Defizite sind
weiterhin da.

Und ganz im Gegenteil: Duque plant gerade etwa, die umstrittene und
eigentlich eindeutig durch den Friedensvertrag ausgesetzte Besprühung von
Kokafeldern mit dem gefährlichen Glyphosat wieder aufzunehmen. Das lehnt
die Bevölkerung weithin ab. Das heißt, rückwärts in die Zukunft ging es
leider schon in den letzten zwei, drei Jahren – nicht erst seit den
aktuellen Protesten.

Präsident Duque hat den Plan für Steuererhöhungen zurückgezogen, die
Proteste ebben aber nicht ab. Warum?

Ralf J. Leiteritz: Weil die Steuerreform nur das Symptom der aktuellen
Krise des politischen Systems Kolumbiens ist. Die Probleme sind
grundlegender Natur und lassen sich nicht mehr mit kosmetischen Änderungen
entschärfen. Zu nennen wäre da vor allem die hohe Ungleichheit, die
ähnlich wie in Chile große Teile der Bevölkerung am eigenen Leib betrifft.
Diese sozialen Probleme haben eine ungemeine politische Sprengkraft, auch
und gerade in Nach-Bürgerkriegsgesellschaften. Das Konfliktpotential
bleibt daher weiterhin hoch.

Solveig Richter: Das Land durchlebt eine tiefe Legitimitätskrise des
Staates und seiner Institutionen unter der Regierung Duque. Es prallen zum
Teil völlig disparate Vorstellungen und Werte über das gesellschaftliche
Zusammenleben aufeinander, die sich kaum zusammenbringen lassen. Viele der
Demonstrantinnen und Demonstranten kämpfen also gegen die Regierung ganz
grundsätzlich ihre eigene Zukunft in Kolumbien aus. Und man darf nicht
vergessen: Die hohe Gewalt durch die Sicherheitskräfte in den letzten Tage
mobilisiert zusätzlich viele, die sich nicht als „Terroristen“ durch den
Staat stigmatisiert sehen wollen, sondern für ihr legitimes
Demonstrationsrecht einstehen.

Woher kommt die offenbar hohe Gewaltbereitschaft bei der Polizei, aber
auch unter Protestierenden?

Ralf J. Leiteritz: Bei der Polizei und dem Militär ist der Kalte Krieg und
die damals herrschende Einsatztaktik offensichtlich noch nicht vorbei. Da
heißt man sieht dort in jedem Protest einen potenziellen Umsturzversuch
der politischen Linken. Auf der anderen Seite fühlen sich die
Protestierenden durch Ereignisse in Chile, Peru und Ecuador in den letzten
Jahren ermutigt, wo sozialer Protest in vielfältiger Form, auch gepaart
mit Gewalt, zu wichtigen politischen Veränderungen geführt hat.

Wie dürften die kommenden Wochen verlaufen?

Solveig Richter: In einem pessimistischen Szenario dürfte die Lage weiter
eskalieren, denn Duque zeigt zumindest Stand heute wenig Neigung, sich auf
die Protestierenden einzulassen und vor allem die Sicherheitskräfte wieder
unter Kontrolle zu bekommen, trotz Dialogangebot. Das wird also eher beide
Seiten radikalisieren. In einem optimistischen Szenario fruchten die
Apelle breiter gesellschaftlicher und politischer Akteure nach
Deeskalation und einem friedlichen Dialog, etwa auch jener des deutsch-
kolumbianischen Friedensinstituts CAPAZ, den ich selber mit unterzeichnet
habe. In der Sache müsste sich allerdings die Regierung Duque in ihren
Positionen komplett wandeln, um wichtige Forderungen zu erfüllen. Das ist
eher unrealistisch, sondern wird wohl erst bei den Wahlen 2022 neu
verhandelt.

Ralf J. Leiteritz: Präsident Duque hat zuletzt zu einem Dialog aller
gesellschaftlichen und politischen Gruppen eingeladen, um einen Ausweg aus
der aktuellen Situation zu finden, speziell mit Hinblick auf eine neue
Steuerreform, die dringender ist denn je. Die Frage ist jedoch, ob alle
relevanten Gruppen diese Einladung annehmen werden. Die Polarisierung im
Land ist weiterhin sehr hoch und einige Politiker, speziell der ehemalige
und wohl auch zukünftige Präsidentschaftskandidat Gustavo Petro von der
politischen Linken, mögen darauf spekulieren, dass die Lage weiter
eskaliert, um dann in einem Jahr bei den Wahlen zu siegen.

Ist das ein Thema für Deutschland, für die EU? Sollte es eines sein?

Ralf J. Leiteritz: Deutschland und die EU haben sich sehr für den
Friedensprozess in Kolumbien engagiert, auch und gerade mit finanzieller
Hilfe. Sie dürfen das Land in der jetzigen Lage nicht unter dem Vorwand
allein lassen, dass ja nun Frieden herrschen würde und man sich daher
zurückziehen könnte. In Kolumbien leben im Moment rund 1,8 Millionen
Flüchtlinge aus dem benachbarten Venezuela. Auch diese Menschen brauchen
materielle, nicht nur ideelle Unterstützung aus dem Ausland, damit die
soziale Situation in Kolumbien nicht vollends aus dem Ruder läuft.

Solveig Richter: Die wichtigste Rolle spielen zweifelsohne die USA, die
letztlich aufgrund der umfassenden finanziellen und materiellen
Unterstützung für das Land den größten Einfluss auf die Regierung Duque
haben. Aber die Stimme Deutschlands wird gehört, sowohl bei der Regierung
als auch bei den Protestierenden. Es sollte alles getan werden, damit es
nicht zu weiteren Verletzten und Toten auf beiden Seiten kommt, aber auch
die Kolumbianerinnen und Kolumbianer ihr legitimes Recht auf
Meinungsäußerung, Kritik und Demonstrationen ausüben können.

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