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Politik

„Deutschland verliert einen wichtigen Verbündeten“ Kommentar von Prof. Gabriel Felbermayr, Präsident des IfW Kiel

„Die Wahlen geben Boris Johnson ein eindeutiges Mandat, „sein“
Austrittsabkommen durch das Unterhaus zu bringen. Damit wird am 31.1.2020
die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens beendet sein. Die Option, das Land
könnte doch noch in der EU verbleiben, ist endgültig vom Tisch. Das ist
ein trauriger Moment für Europa und Deutschland. Die EU wird dadurch
wesentlich transformiert. Deutschland verliert einen wichtigen Verbündeten
für Freihandel und den Binnenmarkt.

Das Austrittsabkommen regelt den Austritt, nicht aber die zukünftigen
Beziehungen der EU mit dem Königreich. Am 31.1.2020 beginnt die nächste
Frist zu laufen. Bis Ende 2020 soll nun ein umfassendes Abkommen
verhandelt werden. Dieses müsste sehr viel weiter gehen, als die
ambitioniertesten Freihandelsabkommen, die die EU je verhandelt hat, z.B.
mit Kanada. Schon diese Gespräche haben viele Jahre gedauert, und das
Abkommen mit Kanada ist immer noch nicht vollständig in Kraft.

Weil das Abkommen mit dem Königreich auch Themen umfassen wird, die nicht
allein in die Zuständigkeit Brüssels fallen, werden alle EU-Staaten
zustimmen müssen, inklusive mancher Regionalparlamente. Und weil der
Brexit sicher weiter in Großbritannien polarisieren wird, bleibt auch dort
der Prozess sehr schwierig. Es wird wohl wieder zu Fristverlängerungen
kommen und zu Hängepartien.

Die Unsicherheit ist gestern Abend weniger geworden, aber in einem
unerfreulichen Sinn: Ein Exit vom Brexit ist nicht mehr möglich. Ob es zu
einem weichen oder harten oder smarten Deal mit der EU kommt, ist aber
weiter maximal unsicher.“

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Ursula von der Leyen hielt „Rede des Jahres 2019“

„Europa einen und stärken“: Seminar für Rhetorik würdigt eindrucksvolles
und glaubwürdiges Bekenntnis zu Europa

Das Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen verleiht die
Auszeichnung „Rede des Jahres“ 2019 an Ursula von der Leyen. Sie erhält
die Auszeichnung für ihre Wahlrede vor dem Europäischen Parlament am 16.
Juli 2019. Die Rede sei ein eindrucksvolles und glaubwürdiges Bekenntnis
zu Europa, ein Beweis für die Integrationskraft der Idee „Europa“ und ein
engagiertes Plädoyer für eine europäische Wertegemeinschaft, so die Jury
in ihrer Begründung.

Ursula von der Leyen hatte nicht die besten Ausgangsbedingungen für ihre
Bewerbung zur EU-Kommissionspräsidentin. Bis zur Abstimmung war offen, wie
sich das Europäische Parlament entscheiden würde. In dieser krisenhaften
Situation gelingt es von der Leyen jedoch in vorbildlicher Weise,
Überzeugungsarbeit zu leisten, für ihr Programm zu argumentieren und für
Europa zu werben.

In ihrer halbstündigen Rede kämpft sie für eine Erneuerung Europas und
bezieht deutlich Position zu aktuellen Herausforderungen wie Klimawandel,
Digitalisierung und Brexit. Pointiert deutet sie die Einigung Europas als
ein „gewaltiges Werk“ und beschwört das Parlament, Europa zu einen und zu
stärken. Unter Beifall erklärt sie den Klimaschutz zu einer zentralen
Herausforderung und wirbt überzeugend für einen „Green Deal“. In der
sorgsam durchkomponierten Rede spannt sie einen weiten Bogen von
Sachthemen, um schließlich einen emotionalen Appell für Europa zu
formulieren: „The world needs more Europe“.

Von der Leyen spricht engagiert und wohl artikuliert, sie zeigt mit einer
akzentuierten Gestik und Körperhaltung, wie wichtig ihr Europa ist. Ihre
in drei Sprachen gehaltene Rede (Französisch, Englisch, Deutsch) ist ein
Muster für die Realität der politischen Rede in der vielsprachigen
Europäischen Union und illustriert damit die kulturelle Vielfalt des
Kontinents in souveräner Weise. In Zeiten von starker Polarisierung setzt
von der Leyen auf die integrative Kraft Europas, wirbt für Einheit und
Zusammenhalt. Ihr Einsatz für Europa wird dabei plausibel aus der eigenen
Biographie abgeleitet: „Deshalb bin ich in Brüssel geboren und Europäerin
gewesen, bevor ich später gelernt habe, dass ich Deutsche bin und
Niedersächsin.“

In Straßburg etabliert sich von der Leyen als „leidenschaftliche
Kämpferin“ für Europa, die eindrucksvoll für die Idee Europa streitet,
Rechtstaatlichkeit und moralische Standards hochhält. Dabei macht es sich
die Rednerin nicht leicht, weil sie Probleme und Schwierigkeiten in ihrer
Rede eben nicht ausspart. Ein Zitat ihres Vaters weist dabei den Weg:
„Europa ist wie eine lange Ehe. Die Liebe wird nicht größer als am ersten
Tag, aber sie wird tiefer.“ Am Ende steht der emotionale Ausruf „Es lebe
Europa!“, ein Appell, der aus tiefstem Herzen zu strömen scheint. Damit
war ihr nicht nur der Applaus der Abgeordneten sicher, sondern auch die
Mehrheit der Stimmen (383 von 747).

Jury: Jutta Beck, Nico Bosler, Dr. Simon Drescher, Dr. Gregor Kalivoda,
Rebecca Kiderlen, Prof. Dr. Joachim Knape, Sebastian König, Prof. Dr. Olaf
Kramer, Michael Pelzer, Clara Rohloff, Viktorija Romascenko, Pia Rox,
Frank Schuhmacher, Prof. Dr. Dietmar Till, Dr. Thomas Zinsmaier, Peter
Weit

Text der Rede:
https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/SPEECH_19_4230

Video der Rede: https://www.youtube.com/watch?v=dR3k4fTmX5Y

Hintergrund „Rede des Jahres“
Die Auszeichnung „Rede des Jahres“ wird seit 1998 vom Seminar für
Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen vergeben und ging seitdem
unter anderem an Margot Käßmann, Marcel Reich-Ranicki und Navid Kermani.
Mit diesem Preis würdigt das Seminar für Allgemeine Rhetorik jährlich eine
Rede, die die politische, soziale oder kulturelle Diskussion entscheidend
beeinflusst hat. Neben das Kriterium der Wirkungsmächtigkeit treten bei
der Auswahl weitere Bewertungs‒maßstäbe wie argumentative Leistung und
stilistische Qualität der Rede. Ziel ist es, das gesamte rhetorische
Kalkül des Redners zu betrachten und zu bewerten.

Die Jury der „Rede des Jahres“ setzt sich aus Mitarbeitenden des Seminars
für Allgemeine Rhetorik sowie einem Vertreter der Studierendenschaft
zusammen.

Den Kriterienkatalog und ehemalige Reden des Jahres finden Sie unter:
http://www.rhetorik.uni-tuebingen.de/portfolio/rede-des-jahres/

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Soziale Probleme, gespaltene Gesellschaft

In Großbritannien stehen diese Woche Neuwahlen an. Die Briten wählen am
12. Dezember zum vierten Mal in zehn Jahren ihr Parlament. Für Prof. Dr.
Roland Sturm, der kürzlich für die Bundeszentrale für politische Bildung
(bpb) den Länderbericht Großbritannien herausgegeben hat, ist diese Wahl
anders, polarisierender. Wir haben mit dem Inhaber des Lehrstuhls für
Deutsche und Vergleichende Politikwissenschaft, Europaforschung und
Politische Ökonomie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-
Nürnberg (FAU) darüber gesprochen, was die Wahl für Großbritannien
bedeutet.

Die Briten wählen am 12. Dezember ihr Parlament. Premierminister Boris
Johnson erhofft sich dadurch eine breite Unterstützung für seine
konservative Partei und für den Brexit. Wird dieser Plan aufgehen?

Auch wenn die aktuellen Umfragen die Konservativen und Premierminister
Boris Johnson vorne sehen, sind Vorhersagen und Prognosen äußerst
schwierig. Denn anders als bei Wahlen in Deutschland, wo das
personalisierte Verhältniswahlrecht gilt, ist es in Großbritannien nicht
entscheidend, so viele Stimmen wie möglich zu bekommen, sondern so viele
Wahlkreise wie möglich, damit Sitze im Parlament und damit gegebenenfalls
eine Regierungsmehrheit zu erreichen. Gewählt wird nach einem relativen
Mehrheitswahlrecht.

Dabei zieht ausschließlich der Kandidat eines Wahlkreises in das Parlament
ein, der die meisten Stimmen erhält. Es gilt das Motto „First-past-the-
post“. Wer als erster die Ziellinie überquert, gewinnt. Der Mitbewerber
geht leer aus. Die Stimmen der Verlierer werden nicht im Parlament
repräsentiert und sind verloren. So könnte es mitunter sein, dass die
Konservative Partei von Boris Johnson zwar landesweit eine hohe
Prozentzahl an Wählerstimmen erhält, aber vergleichsweise wenige Sitze im
Parlament bekommt, wenn sie entscheidende Wahlkreise knapp verliert.

Wagen wir dennoch eine Prognose…

Wir haben die Brexit-Partei von Nigel Farage, die zwar nur in Wahlkreisen
antritt, in denen bei der letzten Wahl die Labour-Partei gewonnen hat, um
den Konservativen nicht zu schaden. Man nimmt aber letztendlich trotzdem
auch in den Labour-Wahlkreisen den Konservativen Stimmen weg, so dass
Labour dadurch leichter wiedergewinnt. Zudem ist unklar, wie sich die
Liberaldemokraten schlagen werden. Einige konservative Europa-Freunde
haben im Vorfeld angekündigt, für diese zu stimmen.

In Schottland wird sicherlich die Schottische Nationalpartei die meisten
Sitze gewinnen und Boris Johnson keine Chance haben. Weiterhin ist offen,
wie sich Wahlbündnisse gegen die Konservativen durchsetzen werden. Die
Konservativen könnten im Süden des Landes einige Wahlkreise verlieren,
aber auch im Gegenzug Wahlkreise im Norden von Labour dazugewinnen, so
dass es am Ende womöglich reichen wird für Boris Johnson und seine
Konservative Partei. Es wird in jedem Fall spannend, wie sich das Ergebnis
in Parlamentssitze umrechnen lassen wird.

Welche Wahlkampfthemen sind für die Briten jenseits des Brexits von
Bedeutung?

Eines der wichtigsten Wahlkampfthemen in Großbritannien ist seit jeher der
steuerfinanzierte National Health Service (NHS), also das staatliche
britische Gesundheitswesen. Im Raum steht aktuell der Labour-Vorwurf,
wonach Boris Johnson nach dem Brexit den Ausverkauf des NHS an US-Firmen
plane. Für die Briten ist das ein Unding, denn das kostenlose
Gesundheitswesen für alle hat in Großbritannien denselben Status wie die
Queen, ist also unantastbar. Wenig überraschend versprechen deshalb auch
alle Parteien sehr viel Geld. Boris Johnson etwa will neue Krankenhäuser
bauen lassen. Nachbesserungen sind auch dringend nötig. Denn die soziale
Lage hat sich seit der Finanzkrise 2008 durch eine rigide Sparpolitik mit
teils massiven Kürzungen deutlich verschärft. Die landesweiten sozialen
Probleme schlagen sich auch im Gesundheitswesen nieder.

Wir lesen jeden Tag Schlagzeilen, die vermitteln, nach dem Brexit gibt es
nur Verlierer. Ist das zu schwarzgemalt?

Es ist schon absurd: Da wurde etwas beschlossen, von dem klar ist, dass es
dem Land schaden wird, wenn es wirklich kommt. Alle seriösen Ökonomen
bestätigen, dass ein vollzogener Brexit Großbritannien wirtschaftlich
einen massiven Schaden zufügen wird. Die Wirtschaftsbeziehungen zu Europa
haben ein solches Ausmaß, dass selbst das Erschließen neuer Märkte in
Indien oder in den USA diese Lücke niemals schließen könnte. Und:
Landstriche wie Wales, wo die Bevölkerung in der Mehrheit für einen
Austritt gestimmt hat, leben paradoxerweise von EU-Geldern. Gewinner wird
es also kaum geben bei einem vollzogenen Brexit, auch wenn Brexit-
Befürworter das Gegenteil behaupten.

Was sagt die Brexit-Debatte über die Gesellschaft in Großbritannien aus?

In der Brexit-Debatte zeigt sich deutlich, wie gespalten die Gesellschaft
in Großbritannien inzwischen ist. Bei allen anderen Themen hat man bisher
immer einen Kompromiss gefunden. Doch in der Brexit-Frage hat der berühmte
britische „Common sense“ versagt. Die beiden Lager sind stattdessen immer
extremer geworden. Boris Johnson will den EU-Ausstieg ohne Wenn und Aber,
zur Not auch ohne ein Abkommen. Dagegen steht der Chef der britischen
Labour-Opposition, Jeremy Corby. Dieser propagiert einen Sozialismus der
70er-Jahre mit einer völlig neuen Wirtschaftsordnung inklusive
Verstaatlichungen. Diese Kompromisslosigkeit im Parlament ist ein Spiegel
der britischen Gesellschaft. Wir erleben sehr ideologisierte Verhältnisse,
die man so bisher nicht kannte in Großbritannien. Bleibt zu hoffen, dass
mit der Wahl am Donnerstag auch der „Common sense“ wiedergewinnt.

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Volksabstimmungen 1920: Demokratische Musterabstimmung oder Entzweiung einer Gesellschaft?

Das Land Schleswig-Holstein erinnert an 100 Jahre deutsch-dänische
Grenzziehung. Regionalgeschichte der Uni Kiel blickt zurück und bietet
zahlreiche Veranstaltungsformate an.

Im Jahr 2020 sind seit den Volksabstimmungen zur deutsch-dänischen
Grenzziehung 100 Jahre vergangen. Die Abteilung für Regionalgeschichte der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) nimmt dieses Jubiläum zum
Anlass, um einen kritischen Blick auf die Umstände der damaligen
Volksabstimmungen sowie auf die Situation in beiden Ländern vor, während
und nach der Grenzfestlegung zu werfen. „Die Umstände der Abstimmungen von
1920 waren alles andere als reibungslos”, weiß Professor Oliver Auge von
der CAU. „Weite Teile der deutschen Bevölkerung fühlten sich durch den
Versailler Vertrag ungerecht behandelt. Die Menschen litten unter den
Folgen des Ersten Weltkrieges, an Arbeitslosigkeit, Armut und Hunger. Und
die Modalitäten der Volksabstimmungen waren nicht unbedingt zugunsten der
deutschen Seite ausgestaltet”, so der Historiker.

Kern der damaligen Entscheidung war die Zuordnung Nordschleswigs zu
Dänemark. Die dänische Seite entschied die Volksabstimmungen für sich und
feierte das Ergebnis als Wiedervereinigung von Teilen des einstigen
Herzogtums mit dem Mutterland. Das Gebiet hatte seit dem Deutsch-Dänischen
Krieg 1864 zu Deutschland gehört, die Grenzziehung war 1907 von Dänemark
bestätigt worden. „Entsprechend geteilt waren die Bewohnerinnen und
Bewohner der Grenzregion, als es nach dem Ersten Weltkrieg eine erneute
Entscheidung über den Verlauf der Grenze geben sollte”, berichtet Auge.
Abgestimmt wurde in zwei Zonen: Während in Mittelschleswig als einer
Abstimmungszone (II) mehrheitlich für einen Verbleib bei Deutschland
gestimmt wurde, war Nordschleswig als erste Abstimmungszone im Innern
zerrissen. In einem Teil der Städte wie Tondern wollte man die bestehende
Grenzziehung überwiegend beibehalten, die deutliche größere ländliche
Region fühlte sich Dänemark zugehörig. „Das gab den Ausschlag für den
Ausgang der Volksabstimmung in dieser Abstimmungszone, denn hier wurden
die Stimmen en bloc gewertet. Wegen der Gesamtmehrheit der Stimmen pro
Dänemark fiel dieser Teil der dänischen Seite zu. Die reine Auszählung der
einzelnen Stimmen hätte wohl zum Teil, vor allem im Süden Nordschleswigs,
einen anderen Abstimmungsausgang bedeutet”, so Auge

Mit einer Vortragsreihe an wechselnden Orten in Schleswig-Holstein und
Dänemark samt Podiumsdiskussion, einer Ausstellung die mit
Geschichtsstudentinnen und -studenten entwickelt wurde, einer
öffentlichen, deutsch-dänischen Tagung in der schleswig-holsteinischen
Landesvertretung in Berlin sowie mit einer deutsch-dänischen Sommerschule
steuert das Team um Regionalhistoriker Professor Oliver Auge
wissenschaftliche Einblicke und neue Perspektiven zum Landesprogramm bei.

Vortragsreihe: „Regional oder national? Sichtweisen auf 100 Jahre deutsch-
dänische Grenze 1920–2020“

Am 11. Dezember präsentiert Professor Thomas Steensen, Vorsitzender der
Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte und zuvor langjähriger
Direktor des Nordfriisk Instituut, „Die Friesen – eine ‚vergessene
Minderheit‘?“ Weitere Vorträge über die Bonn-Kopenhagener Erklärungen oder
70 Jahre Grenzfriedensbund folgen bis zu einem Doppelvortrag am 4. März
über den Kulturkampf an der Königsau und die Bedeutung der Grenze für
Schleswig-Holstein. Im März 2020 schließt die Reihe im Kieler Landeshaus
mit einer öffentlichen Podiumsdiskussion.

Die Vortragsreihe wird veranstaltet durch: Abteilung für
Regionalgeschichte der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) mit
dem Landesbeauftragten für politische Bildung Schleswig-Holstein und dem
ADS Grenzfriedensbund

Programm und Details:
<www.uni-kiel.de/de/universitaet/detailansicht/news/304-grenze>

Ausstellung: „Kieler Perspektiven auf die Volksabstimmungen von 1920“

Gibt es nach 100 Jahren Grenzziehung zwischen Deutschland und Dänemark
neue Erkenntnisse über die damalige Entscheidung? Die Antworten auf diese
Frage präsentiert das Historische Seminar im Rahmen einer Ausstellung. Mit
ihren „Kieler Perspektiven auf die Volksabstimmungen von 1920” rücken die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen mit Kieler Studierenden
die Landeshauptstadt selbst in den Fokus. Während bisherige
Forschungsansätze die Grenzregion im engeren Sinne, die Belange der
betroffenen Minderheiten auf beiden Seiten der Grenze oder das Verhältnis
beider Staaten zwischen zwei Weltkriegen analysierten, geriet die
Bedeutung der Volksabstimmungen für die Stadt Kiel aus dem Blick. Eröffnet
wird die Ausstellung am 10. Februar 2020 in der Förde Sparkasse Kiel durch
Oberbürgermeister Dr. Ulf Kämpfer und den Vorsitzenden der Gesellschaft
für Kieler Stadtgeschichte Rolf Fischer.

„Die unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Gruppierungen
waren hier vertreten. Kiel fungierte als kulturelles und
wissenschaftliches Zentrum Schleswig-Holsteins, und hier wurden die
politischen Entscheidungen getroffen”, erklärt Caroline E. Weber,
wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung für Regionalgeschichte. „Da
ist es nicht überraschend, dass in der Kieler Presse der Wahlkampf von
Dänen und ‘Dänenfreunden’ genauso wortgewaltig geführt wurde, wie von
deutscher Seite“, so Weber. „Wahlkampagnen und Berichterstattung in der
Kieler Presse sollten über die Stadtgrenzen hinaus ihre Wirkung entfalten.
Botschaften auf dem Suchsdorfer Notgeld richteten sich auch explizit an
die eigene Gemeinde”, ergänzt die Wissenschaftlerin. Zeugnisse dieses
Wahlkampfes in der Presse und über Marketingmaßnahmen werden in der
Ausstellung gezeigt, dazu zählen beispielsweise Notgeldscheine über 25
Pfennig.

Kieler Bürgerinnen und Bürger, die im Abstimmungsgebiet geboren und
mindestens 20 Jahre alt waren, konnten ebenfalls ihre Stimme abgeben. Die
Volksabstimmungen gehörten nach der Wahl der Nationalversammlung von 1919
zu den ersten Ereignissen, bei denen Frauen ihr neu gewonnenes Wahlrecht
ausüben konnten. Der Antrag der Kielerin Margaretha Specht auf Eintragung
in die Liste der Stimmberechtigten wird ebenfalls in der Ausstellung
gezeigt.

Insgesamt 11 Schlaglichter haben die Geschichtsstudentinnen und -studenten
für die Ausstellung aufbereitet. „Die Anfangsgeschichte meiner eigenen
Professur ist eines davon”, berichtet Oliver Auge. Der Abstimmungskampf
habe in der schleswig-holsteinischen Bevölkerung den Wunsch geweckt, die
eigene Landesgeschichte zu bewahren und eine identitätsstiftende
Institution zu etablieren, so Auge: „Das Ergebnis war die Schaffung einer
‘Grenzkampfprofessur’ an der Kieler Universität. Der Theologe und
gebürtige Nordschleswiger Otto Scheel wurde für diesen Geschichtslehrstuhl
ausgewählt. Die preußische Regierung versprach sich von seiner Berufung
einen wichtigen Beitrag zu einer baldigen Grenzrevision. Scheel nahm diese
politische Aufgabe bereitwillig an.”

Weitere Themen der Ausstellung sind:
–       Die Grenze im Nationalsozialismus
–       Deutsch-dänische Beziehungen nach 1945
–       Die “Kieler Erklärungen” und die “Bonn-Kopenhagener Erklärungen”
–       Wissenschaft und Kultur
–       Der Südschleswigsche Wählerbund
–       Das dänische Honorarkonsulat in Kiel
–       Die Deutsch-Dänische Gesellschaft e.V.

Das Wichtigste in Kürze:
Die Ausstellung wurde in einem Projektseminar der Abteilung für
Regionalgeschichte an der Kieler Universität von Masterstudierenden
erarbeitet, unter Leitung von Professor Oliver Auge und Caroline E. Weber
und in Zusammenarbeit mit dem Königlich Dänischen Honorarkonsulat in Kiel.
Ausstellungseröffnung: 10. Februar 2020
Zeitraum: ca. vier Wochen
Ort: Fördesparkasse, Lorentzendamm 28-30, 24103 Kiel
Öffnungszeiten: Mo-Do: 09:00-18:00 Uhr / Fr.: 09:00-16:00 Uhr

Tagung: „Handlungsspielräume und Narrative in der deutsch-dänischen
Grenzregion seit 1920“

Die deutsch-dänische Grenzziehung von 1920 ist nicht nur ein relevantes
Thema für die Grenzregion. Sowohl regionales Bewusstsein als auch
nationale Entscheidungen spielten entscheidende Rollen. Darauf soll der
erste von drei Schwerpunkten einer öffentlichen Tagung in der Vertretung
des Landes Schleswig-Holstein beim Bund liegen. Am 5. und 6. Mai 2020 sind
alle Interessierten zur Teilnahme eingeladen.

Der zweite Schwerpunkt der Tagung liegt auf den Minderheiten der
Grenzregion. Nicht selten wurden im Europa des 20. Jahrhunderts die
zahlreichen Minderheiten von der jeweiligen Mehrheitsbevölkerung mit
Misstrauen bedacht und des Separatismus’ verdächtigt. Dänische und
friesische Minderheiten in Deutschland und deutsche Minderheit in Dänemark
hatten zu beiden Seiten vergleichbare Hürden zu nehmen, nicht zuletzt die
Zusicherung demokratischer Rechte, die erst 1949 auf deutscher Seite durch
die Kieler Erklärung geregelt wurde. Mit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen
von 1955 erhielten die Minderheiten beiderseits der Staatsgrenze
Rechtssicherheit.

Abgeschlossen wird der erste Tagungstag am 5. Mai mit einer öffentlichen
Podiumsdiskussion zum Thema „Gemeinsam über Grenzen! Stand und
Perspektiven der deutsch-dänischen Nachbarschaft“. Die Podiumsdiskussion
wird gemeinsam mit der Vertretung des Landes Schleswig-Holstein beim Bund
veranstaltet. Das Grußwort hält Friis Arne Petersen, Botschafter des
Königreichs Dänemark in der Bundesrepublik Deutschland. Der dritte
Tagungsschwerpunkt findet schließlich zum Thema „Bürgerkrieg und Plebiszit
in europäischen Grenzregionen” statt.

Zum ausführlichen Tagungsprogramm:
<http://bit.ly/tagung-dd-grenzregion>

Deutsch-Dänische Sommeruniversität

Seit zehn Jahren findet die deutsch-dänische Sommeruniversität mit
regionalen Partnern aus Wissenschaft, Kultur und Politik statt und die
Abteilung für Regionalgeschichte ist im Jahr 2020 erneut Mitorganisatorin.
Anlässlich der 100-jährigen Grenzziehung findet die Veranstaltung im
August 2020 zum Thema Volksabstimmungen statt. Auge: „Das Besondere an
dieser Sommeruniversität ist, dass sie nicht nur von dänischen
Germanistikstudierenden und deutschen Geschichtsstudierenden besucht wird.
Unter den 40 bis 50 Teilnehmenden sind auch viele europäische Studentinnen
und Studenten aller Fachrichtungen. Sie weiten den Blick aller
Beteiligten. Die Sommerschulen sind ein wichtiger und bewährter Beitrag
zur internationalen Sichtbarkeit der Lehre unserer CAU. Wir hoffen, dass
wir im Zuge der Neugestaltung des HSP auch künftig die Personalressourcen
haben, um die Sommerschulen durchführen zu können.”

Die Sommeruniversität wird vom Historischen Seminar der Christian-
Albrechts-Universität zu Kiel, dem Internationalen
Wirtschaftskommunikationsstudium (Negot) und dem Zentrum für
Grenzregionsstudien der Süddänischen Universität, der Dänischen
Zentralbibliothek für Südschleswig und der Ausländerförderung der Konrad-
Adenauer Stiftung organisiert. Weitere Partner der vergangenen Jahre waren
etwa die Europa-Universität Flensburg, das Institut für Hessische
Landesgeschichte der Universität Marburg und der Bund Deutscher
Nordschleswiger. Regelmäßig wurde das Format durch europäische  Interreg-
Fördermittel und jüngst durch das „Europaministerium“ des Landes
Schleswig-Holstein unterstützt.

Die Sommeruniversität wird in deutscher und englischer Sprache
durchgeführt und bietet deutschen, dänischen und  internationalen
Studierenden die Möglichkeit, sich nicht nur mit der Entwicklung einer
lange umstrittenen, aber heute friedlichen Grenzregion in Europa
auseinanderzusetzen, sondern auch die Perspektive der Studierenden aus
anderen Ländern kennenzulernen.

Zum Landesprogramm:
<www.schleswig-holstein.de/DDV/DE/Home/home_node.html>

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