Die Gründe für eine vegetarische Ernährung, ohne Fisch und Fleisch, können vielfältig sein
Der Vegetarismus hat, was sicher viele nicht wissen, eine lange Geschichte. Der erste große Vegetarier soll der griechische Gelehrte Pythagoras (um 570 bis 500 vor Christus) gewesen sein: “Alles, was der Mensch den Tieren antut, kommt auf den Menschen zurück.”
Ein sehr aktueller Gedanke. Er verabscheute nicht nur die religiösen Tieropfer, sondern war der Meinung, der Mensch sollte Tiere nicht essen, denn der Fleischgenuss mache aus ihm eine Kriegsmaschine – aggressiv und mordlüstern. Also, solange der Mensch Tiere tötet, wird er auch Menschen töten. Zitat ende.
Der Begriff Vegetarier
Eine vegetarische oder vegane Ernährung bietet aus gesundheitlicher Sicht viele Vorteile
Die Einführung des Begriffes Vegetarier (der Begriff stammt von “vegetable”, englisch für “Gemüse (pflanzlich), fand seinen Ursprung in England im 19. Jahrhundert und bezeichnete die Menschen, die sich fleischlos ernährten, als „Pythagoräer“. In Deutschland kam es im gleichen Jahrhundert in der Harz zur Gründung der ersten deutschen “Vegetarischen Vereinigung”. Nach dem Ersten Weltkrieg erlebte die Bewegung mit der Entwicklung der Homöopathie nochmals eine markante Steigerung.
Zitat von Leonardo da Vinci
Ihren Zenit erreichte die vegetarische Bewegung nach dem ersten BSE-Fall in Deutschland im Jahr 2000: Danach ernährten sich laut Schätzungen rund 15 Prozent der Deutschen vegetarisch. Und in der Schweiz? Gemäss Studie (November 2021) ernähren sich in der Schweiz rund 0,6 Prozent der Bevölkerung vegan und etwa 4,1 Prozent vegetarisch. Die Anzahl der Veganer hat sich im Jahr 2021 damit verdoppelt. Weitere 20,5 Prozent verzichten zumindest häufig auf Fleisch (so genannte “Flexitarier”).
Ist vegetarisch gesund?
Ist vegan gesund oder ungesund
Nach einer europaweit durchgeführten Studie gab es folgende Schlussfolgerungen: In allen wesentlichen Punkten wiesen die Vegetarier bessere Werte auf: Vor allem niedrigere Blutdruck-, Blutfett- und Harnsäurewerte und bessere Nierenfunktionsleistungen. Die Sterberate war um 20 %, und die Krebstodesrate sogar um 40 % niedriger als bei der „fleischessenden“ Kontrollgruppe. Zusammenfassend lässt sich aus weiteren Studien ableiten, dass Vegetarier keine Mangelerscheinungen haben und dass der allgemeine Gesundheitszustand überdurchschnittlich gut ist und die vegetarische Ernährung als gesund bezeichnet werden kann.
Helft mir, ich will Vegetarier werden! (Obwohl ich Fleisch liebe)
Am 4. Dezember 2000 hat mir die inzwischen leider verstorbene Luzerner Kochbuch Autorin Marianne Kaltenbach ihr Buch „Vegetarisch für Gourmets“ vermacht. Mit 265 Rezepten rund ums Jahr. Beim Nachkochen stelle ich fest, dass vor allem Indische und nordafrikanische Speisen viel Vegetarisches zu bieten haben. Und mit vegetarischer Kost eine durchwegs gesunde und ausgewogene Ernährung möglich ist.
Hier findest du die besten Veggie-Rezepte
Als besonders ausgezeichnetes Buch empfehle ich: Hiltl. Vegetarisch nach Lust und Laune. Autor: Rolf Hiltl18. ISBN 978-3-85932-984-3, CHF 59. Weber Verlag Gwatt.Fazit: Je mehr man sich mit der vegetarischen Küche auseinandersetzt kommt man im wahrsten Sinne auf den „fleischlosen“ Geschmack. So auch für mich ab und zu….sonst bleibe ich beim Fleischigen!
Mondes flottants Chorégraphies de Sidi Larbi Cherkaoui et Damien Jalet. Ballet du Grand Théâtre de Genève
Inszenierung und Besetzung:
Skid Chorégraphie Damien Jalet Scénographie Jim Hodges et Carlos Marques da Cruz Costumes Jean-Paul Lespagnard Lumières Joakim Brick Musique Christian Fennesz et Marihiko Hara
Ukiyo-e
Chorégraphie Sidi Larbi Cherkaoui Scénographie Alexander Dodge Lumières Dominique Drillot Costumes Yuima Nakazato Dramaturgie Igor Cardellini Musique Szymon Brzóska et Alexandre Dai Castaing
Ballet du Grand Théâtre de Genève Avec trio à cordes (sur scène)
Coproduction avec Maison de la Danse, Lyon, Biennale de la danse de Lyon 2023 et Fondazione Romaeuropa Arte e Cultura
In seinem ersten Programm als neuer Direktor des Genfer Balletts beschäftigt sich Sidi Larbi Cherkaoui mit den Themen der Resilienz und den Kräften der irdischen Anziehungskraft.
Szenenfoto der Produktion von Grégory Batardon
Für die Produktion «Mondes flottants» (Schwebende Welten) hat Cherkaoui den belgischen Choreografen Damien Jalet mit dem Stück «Skid» nach Genf geholt. Dieser will damit die Schwerkraft so sichtbar wie möglich machen und damit neue choreografische Möglichkeiten ausloten. Auf der Bühne steht eine riesige Plattform (Jim Hodges und Carlos Marques da Cruz), schneeweiss, mit einer Neigung von 34°. Über deren obere Kante schiebt sich ein erster Arm, ein erster Körper, andere folgen, lassen sich langsam über die Fläche gleiten (to skid ist Englisch für gleiten), versuchen erfolglos, sich der Schwerkraft zu entziehen und stürzen kopfüber, Beine voran, eingerollt in den Orchestergraben. Es entstehen unglaubliche Bilder, einzigartig, episch, verstörend, auch teilweise anstrengend, meint man doch ab und zu, sich festkrallen zu müssen, um nicht selber verschluckt zu werden. Völlig neue Bewegungsabläufe werden möglich, Körper schieben sich übereinander, ein Knäuel formt sich, löst sich auf in eine Kette, ein Glied reisst, die Körper folgen sich im Domino-Effekt, einer nach dem anderen stürzen sie ins Nichts. Immer wieder erscheinen die Tänzer*innen oben, versuchen sich in Standhaftigkeit, bäumen sich auf, halten sich gegenseitig, verknäulen sich, um schlussendlich einmal mehr wehrlos in die Tiefe zu gleiten und abzustürzen.
Verstörend schöne Schattenbilder
Szenenfoto der Produktion von Grégory Batardon
Mit zunehmendem Licht verstärken sich die Schatten auf der Plattform, Körper gebären sich aus ihren eigenen Schatten, Arme werden unendlich lang, oft weiss man nicht, wo der Körper aufhört und der Schatten beginnt. Dann wieder formt sich ein mehrköpfiges Amphibien-Wesen auf der Plattform-Kante, schiebt sich schlangenartig hinunter, versucht, die Schwerkraft zu beherrschen, bevor es von ihr beherrscht wird. Dann steigen die Tänzer*innen die Plattform hoch, kriechen, hüpfen froschähnlich einer über den anderen, formen Dreiecke, Linien und man fragt sich, wie bei diesem Kraftaufwand, bei dieser Anstrengung eine solche Präzision möglich ist.
Geburt und Absturz
Szenenfoto der Produktion von Grégory Batardon
In einem letzten Bild hängt ein Körper eingerollt in einem strumpfähnlichen Kokon, versucht, sich daraus zu befreien, dreht, wendet sich bis sich endlich ein erster Fuss herausschält, dann ein zweiter, dann ein Bein. Ein mühsamer Geburtsprozess, bis ein makelloser Körper auf noch wackligen Beinen langsam die Plattform hochsteigt, Schritt für Schritt, vornübergebeugt, jeder Muskel, jeder Knochen der Wirbelsäule sichtbar im gleissenden Licht. Auch dieser Körper stürzt in die Tiefe, nachdem er den Gipfel erreicht hat.
Die Musik von Christian Fennesz und Marihiko Hara ist geisterhaft, eindringlich, laut, oft schmerzhaft laut, drückt in gewisser Weise die unglaubliche Anstrengung aus, die Sisyphus artigen Versuche, sich gegen etwas aufzulehnen, gegen das kein Ankommen ist. Das Genfer Premieren-Publikum zeigte sich begeistert!
Unmögliche Treppen
Szenenfoto der Produktion von Grégory Batardon
Im zweiten Teil des Abends folgte die Uraufführung von «Ukiyo-e» von Sidi Larbi Cherkaoui, eine Meditation über unsere Fähigkeit zur Resilienz, wie Cherkaoui erklärt. Auf der Bühne stehen hölzerne Treppenelemente (Alexandre Dodge), die immer wieder zu neuen Formationen zusammengefügt werden. Inspiriert habe ihn dabei der Künstler M.C. Escher mit seinen «unmöglichen Treppen». Auch hier stürzen die Tänzer*innen teilweise in die Tiefe, aber sie verlieren sich auch in den immer wieder neu arrangierten Treppen, legen sich auf die Stufen, steigen hinauf und herunter. Cherkaoui sieht darin die Suche nach einem möglichen Weg, sich in einem definierten Raum zu begegnen, miteinander umzugehen, ohne sich zu erdrücken. Die Tänzer*innen bilden immer wieder neue Gruppen, mal treffen sie sich zu dritt, mal tanzen sie selbstverloren allein, dann formen sie gemeinsam einen Knäuel, aus dem ein Tänzer sich erhebt, das Ganze definiert und eingerahmt durch die Treppen-Elemente.
Szenenfoto der Produktion von Grégory Batardon
Das ist sehr ästhetisch, vor allem auch durch die wunderbaren Kostüme von Yuima Nakazato von strengem Schwarz über edle, farbdurchsetzte Gewänder bis hin zu engen Trikots mit blutenden Herzen. Faszinierend die Live-Musik von Szymon Brzóska für Streichtrio und Klavier und die rhythmischen Kreationen für Perkussionsinstrumente und elektronische Musik von Alexandre Dai Castaing, die Gesangssoli, die Kodo-Trommel. Cherkaouis Tanzsprache hat die nötige Leichtigkeit, die Tänzer*innen scheinen oft zu schweben, wie es der Titel antönt, aber es gibt auch Längen durch die wiederkehrenden Bewegungen und Drehungen, die ab und an tanzende Derwische erinnern. Emotionen kommen kaum auf, sind vielleicht auch nicht gewollt und es bleibt eine leichte Verunsicherung, Cherkaouis Ansatz erschliesst sich einen nicht auf Anhieb. Ein grosses Lob dem ganzen Tanz-Ensemble, welches in beiden Stücken restlos überzeugte.
Ein spannender Abend mit zwei sehr gegensätzlichen Choreografien, die aber auch grosse Parallelen aufweisen.
Kleine Fotodiashow der Produktion von Grégory Batardon:
Besetzung ud Programm: DANIEL HARDING Leitung LEONIDAS KAVAKOS Violine
PROGRAMM JOHANNES BRAHMS Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77 (ca. 40′) Allegro non troppo Adagio Allegro giocoso, ma non troppo vivace
LUDWIG VAN BEETHOVEN Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68 «Pastorale» (ca. 40′) Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande. Allegro ma non troppo Szene am Bach. Andante molto mosso Lustiges Zusammensein der Landleute. Allegro Gewitter – Sturm. Allegro Hirtengesang – frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm. Allegretto
Grundsätzliches zum Werk
Johannes Brahms
Obwohl Johannes Brahms sich mit der Komposition seines Violinkonzerts op. 77 recht schwer tat, zählt das Konzert unbestritten zu den Meisterwerken der Geigenliteratur. Ein Grund für die “Geburtswehen” dieser Komposition mag gewesen sein, dass Brahms von Hause aus Pianist war und nicht immer einzuschätzen vermochte, was er der Geige zumuten konnte. Im Sommer 1878 gab er dann dem Drängen seines Freundes, des Geigers Joseph Joachim, nach und skizzierte während eines längeren Aufenthalts in der Sommerfrische Pörtschach am Wörther See eine erste Fassung des Violinkonzerts.
Des Komponisten Unsicherheit
Die skeptische Distanz, die Brahms seiner Arbeit gegenüber an den Tag legte, schlägt sich auch in seinen schriftlichen Äußerungen nieder. Als er Joachim im August die Violinstimme des ersten Satzes übersandte, redet er abfällig davon, dass “die ganze Geschichte am Ende auf vier Sätze hinauslaufen wird”, und äußert dann die Bitte:
“Nun bin ich erst zufrieden, wenn du ein Wort sagst und vielleicht einige Bemerkungen hineinschreibst: schwer, unbequem, unmöglich usw.”
Joachim ist dem Wunsch nachgekommen. Er hat zahlreiche Änderungsvorschläge gemacht, wobei er vor allem solche Passagen entschärfte, die Brahms offensichtlich am Klavier entworfen hatte, die jedoch auf der Geige unmöglich auszuführen waren. In Joachims Antwortbrief heißt es denn auch:
“Heraus zufrieden ist das meiste, aber ob man’s mit Behagen alles im heißen Saal spielen wird, möchte ich nicht bejahen, bevor ich’s im Fluss mir vorgeführt.”
Brahms bedankte sich bei dem Freund für die Mühe – und beließ dann (bis auf wenige Änderungen) alles beim Alten.
Unspielbar, weil gegen die Geige komponiert?
Deshalb galt Brahms’ Violinkonzert wegen seiner enormen technischen Anforderungen lange als unspielbar, es kursierte das Bonmot vom “Konzert gegen die Geige”. Doch nach der erfolgreichen Uraufführung am Neujahrstag 1879 etablierte sich das Werk bald.
Brahms komponierte kein Virtuosen Konzert, wie Beethoven oder Mendelssohn, sondern ein Werk, wo Solist und Orchester zu gleichen Teilen die musikalische Substanz tragen und eng miteinander verflochten sind. Der Geiger steht nicht im Vordergrund, im Gegenteil, er muss sich des Öfteren gegen das Orchester behaupten.
Rezension
Dirigent Daniel Harding Foto Julian Hargreaves
Nach einem ca. 20Sekunden dauernden Streicherintro übernimmt die Oboe für ein Intermezzo in ungefähr derselben Dauer. Eine doch eher ungewöhnlicher Beginn für ein Violinkonzert, bei dem sich der Solist nach etwas über zwei Minuten in das Geschehen „einmischt“, respektive dazu spielt.
Brahms lange Einleitung spannt die Hörer auf die Folter
Solist Leonidas Kavakos Violine
Vor allem im ersten Satz mit seiner ungewöhnlich langen Einleitung, der berührenden Melodik seines ersten und sehnsuchtsvollen Kantabilität des zweiten Themas wird die Verwandtschaft zu Beethovens Violinkonzerten offenbar. Dazu wird ein drittes Thema vorgestellt, das in seiner stark akzentuierten Anlage (Doppelgriffe in der Violine, Staccato) im denkbar größten Kontrast zur lyrischen Grundstimmung des Satzes steht. Ähnlich wie bei seinen Klavierkonzerten dominiert auch im Violinkonzert das sinfonische Prinzip, mit dem Brahms im Beethoven’schen Sinn die Entwicklung dieser Gattung auf seine eigene Weise fortsetzte. Dies bedeutet auch, dass Brahms bei allen technischen Hürden des Soloparts auf Virtuosität als Selbstzweck verzichtet. Vielmehr wertet der Komponist die Rolle des Orchesters im Sinne des ursprünglichen Miteinander-Musizierens (“Concertare”) von Solisten und Begleitung stark auf.
Beeindruckende «Auftritte» der Solo Oboe
Dirigent Daniel Harding Foto Arne Hyckenberg
Eine schlichte Oboen-Melodie eröffnet das Adagio, in dem die Violine arabeskenhaft in immer neuen Abwandlungen das thematische Geschehen umspielt. Nur in dem kurzen Mittelteil schlägt das Soloinstrument leidenschaftlichere Töne an. Gleich zu Beginn des Schlusssatzes stellt die Solovioline das ungarisch geprägte Hauptthema vor. Sein tänzerischer Atem verleiht dem Rondo-Finale Vitalität und Lebensfreude.
Der Geiger Pablo de Sarasate soll zum Adagio gesagt haben, er denke nicht daran, mit der Geige in der Hand zuzuhören, wie die Oboe die einzige Melodie des Stückes blase.
Leonidas Kavakos packte den Stier bei den Hörnern, respektive die Notenabfolge in ihrer Einzigartigkeit, löste sich aus dem Klangkörper, um, nach atemberaubenden Zwischensoli, sich wieder souverän ins Ganze einzufügen. Dabei entwickelte er in den ganz romantischen Passagen viel Schmelz, lief aber nie Gefahr ins süss – zuckrige abzugleiten. Eine grandiose Demonstration von Können, Souveränität und Ausstrahlung, unterstützt durch ein hervorragendes Orchester, geleitet von einem ebensolchen Dirigenten, belohnt durch frenetischen, langanhaltenden Applaus, der schlussendlich in eine verdiente stehende Ovation mündete, für die sich der Solist mit einer kurzen Improvisation als Zugabe bedankte.
Über den Solisten des Abends
Leonidas Kavakos Foto Daniel Regan
Seit seinem Triumph im finnischen Sibelius-Wettbewerb im Jahr 1985 zählt der griechische Geiger Leonidas Kavakos zu den absoluten Grössen seines Fachs. 2014 war er Grammophone Artist of the Year, im Januar 2017 wurde ihm der renommierte Léonie-Sonning-Musikpreis zugesprochen. Dabei bewahrte sich Kavakos stets sein künstlerisches Profil, indem er Modetrends links liegen lässt und stets die Auseinandersetzung mit dem Werk in den Mittelpunkt stellt. Er spielte zunächst die Falmouth-Stradivari von 1692 und eine Giovanni Battista Guadagnini von 1782 (Turin). Von Februar 2010 bis 2017 spielte Kavakos die Abergavenny-Stradivari von 1724 sowie die Violinen der modernen Geigenbauer David Bagué, Stefan-Peter Greiner und Florian Leonhart. Seit 2017 ist er gem. ‘The Strad’ December 2020 Vol 131 No 1568′ im Besitz der Willemotte Stradivari von 1734, die Stradivari im Alter von 90 Jahren baute.
Leonidas Kavakos in Aktion
Obwohl Beethoven die inhaltliche Aufladung von Kompositionen im Sinne heutiger Programmmusik stets kritisierte, überschrieb er die ersten Skizzen der Pastorale mit „Sinfonia caracteristica“ und später mit „Sinfonia pastorella“, das fertige Werk schließlich mit „Pastoral-Sinfonie oder Erinnerungen an das Landleben“. Entstanden ist die Pastorale in den Jahren 1807 bis 1808, nahezu zeitgleich mit der fünften Sinfonie des Komponisten. Die unterschiedlichen Charakteristika beider Sinfonien werden heute häufig als komplementär bezeichnet, Beethoven selbst äußerte sich dazu nicht.
Ein Gesamtkunstwerk
In den insgesamt fünf Sätzen der sechsten Sinfonie zeichnet Beethoven musikalisch verschiedene Eindrücke eines städtisch geprägten Menschen in ländlicher Umgebung nach. Alle fünf Sätze fügen sich im Gesamtzusammenhang zu einem einheitlichen Bild, von dem Beethoven selbst behauptete, es habe „mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“. Den ersten Satz überschrieb er mit „Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande“, der zweite Satz stellt eine „Szene am Bach“ dar. Die ineinander übergehenden Sätze drei, vier und fünf vertonen „Lustiges Zusammensein der Landleute“, „Gewitter und Sturm“ sowie „Hirtengesänge – Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm“.
Dennoch wollte Beethoven die Bedeutung seiner Musik lieber dem Zuhörer selbst überlassen. „Wer auch je nur eine Idee vom Landleben erhalte, kann sich ohne viele Überschriften selbst denken, was der Autor will“, heißt es in einer seiner hinterlassenen Schriften.
Beethoven modern und zeitgemäss, nicht verbittert verbissen
Daniel Harding zeigt wo es lang geht Foto Mark Allan
Als hätte Dirigent Daniel Harding die Musiker*innen des Royal Concertgebouw auf „mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“ eingeschworen, klingt die Pastorale hier ausgewogener und ausdrucksstärker denn je. Hardings Dirigat fängt die Charakteristika der Sätze von sanfter Heiterkeit bis hin zum stürmisch-energischen Tonfall ein, der Orchesterklang bleibt dabei stets transparent und ausgeglichen. Ein äusserst moderner und lebendiger Beethoven, der, wie Harding demonstrierte, sogar einen Dirigenten zum tänzeln auf dem Pult animieren kann.
Dass begeisterte Auditorium sparte nicht mit langanhaltendem, stürmischem Applaus für das gesamte Orchester ebenso wie für die einzelnen Register und natürlich auch für die souveräne Leitung von Daniel Harding.
Produktionsteam und Besetzung Konzept, Texte und Choreografie: Tom Weinberger Bühne: Caro Stark Kostüme: Silvia Romanelli Licht: Petri Tuhkanen Choreografische Assistenz: Vittorio Bertolli Dramaturgie: Wanda Puvogel TanzLuzern: Valeria Marangelli, Phoebe Jewitt, Igli Mezini, Flavio Quisisana, Mathew Prichard, Giulia Esposito, Gádor Lago Benito, Andrea Lippolis, Zhiyelun Qi, Tanaka Roki, Grazia Scarpato, Hanna Hughes
Die französische Choreografin Marion Zurbach und der israelische Choreograf Tom Weinberger präsentieren in «Dancing Voices» am Luzerner Theater zwei sehr unterschiedliche Stücke. Dabei beziehen sie die Stimmen der Tänzer*innen mit ein, beide auf ihre eigene Weise.
Der blau-graue Bühnenraum hat etwas Mystisches, macht neugierig, er hebt sich leicht an gegen hinten und geht in die Tiefe des Theaters, eine runde Schiffsluke rechts, zwei halboffene Türen hinten und links, durch die Licht hereinkommt. Vorne am Bühnenrand zehn Mikrofone, stramm aufgereiht. Spätestens jetzt wird klar, dies wird ein besonderer Abend.
Viel Tanz gibt es nicht im ersten Stück von Tom Weinberger «Aye aye captain». Matthew Prichard spielt darin den «Host» im weissen Anzug, immerzu lächelnd, überfreundlich, gespielt glücklich. Er macht das ausgezeichnet, keine Frage, trotzdem ist es etwas befremdlich, ihn mehr reden zu hören als tanzen zu sehen. Was hinter und neben ihm auf der Bühne abläuft, stellt sein Chaos im Kopf dar, seine Gefühlswelt. Seine Stimmen im Kopf werden personifiziert auf die Bühne gebracht, sie mischen sich stetig ein, werfen sich danach gegen Wände, rennen durch Türen, oder versuchen es, winden sich am Boden. Die Regisseurin (Hanna Hughes) sitzt oben auf der Bühnenwand und gibt Anweisungen, was zu passieren hat.
Dem mehrheitlich älteren Publikum wird mit diesem Stück einiges abverlangt, was, wie sich in der Pause zeigt, nicht alle bereit sind zu geben. Kein Ballett sei das, war die vorherrschende Kritik und man wolle sich nicht so viel erklären lassen müssen sondern einfach Tanz geniessen.
Das Stück «Reef» von Marion Zurbach liess etwas mehr Bewegung zu. Sie hatte ihm Vorfeld mit den Stimmen der Tänzer*innen gearbeitet und einen Klangteppich für das Stück geschaffen. Die Bühne ist nun in ein warmes Braun-Gelb getüncht, im hinteren Teil aufgehäufte Tücher, die an Sandsäcke erinnern. Die Tänzer*innen erscheinen kriechend aus den Ecken, eingehüllt in grosse, schlafsackartige Umhänge in Brauntönen, alle in denselben Trikots und mit langen Mähnen. Sie suchen sich, beschnüffeln sich, schauen, welche Bewegungen möglich sind und was diese hergeben. Das hat etwas Faszinierendes, die Szene im Dunkel mit den staunenden, rotfunkelnden Augenpaaren, die nach und nach in einem Loch verschwinden, ist witzig, die Disko-Szene irgendwie etwas deprimierend und seltsam. Neben dem erwähnten Klangteppich stossen die Tänzer*innen Töne aus wie Gockel oder Pfauen, das wiederum irritiert, aber es sollen ja auch fiktive, merkwürdig anmutende Einzelwesen sein.
Auch nach diesem Stück bleibt man leicht ratlos zurück. Das liegt in keiner Weise am Ensemble, das eine unglaubliche Leistung hinlegt. Nicht nur Schrittabfolgen müssen perfekt sitzen, sondern auch die Texte und nicht einmal kommt das Gefühl auf, dass sich die Tänzer*innen auf der Bühne in ihren Rollen nicht wohl fühlen. Auch Bühne und Kostüme sind ansprechend. Es liegt eher an der Bereitschaft – oder Nicht-Bereitschaft – des mehrheitlich älteren Publikums, sich auf Experimente und Neues einzulassen. Ein Tanzabend war es nicht wirklich, aber auch nicht Theater, eine Mischform eben und «extrem spannend, den Tanz hin zu den anderen Kunstformen zu öffnen», wie Tanzdirektorin und künstlerische Leiterin Tanz Wanda Puvogel erklärte.
Veränderungen und Neues haben es immer schwer und es zeugt von einem gewissen Mut, einen solchen Abend zu planen. Zwei junge Tänzer im Publikum fanden die Produktionen spannend, faszinierend und amüsant, endlich einmal etwas Neues, Anderes und sie könnten sich durchaus vorstellen, selber in so einem Stück mitzuwirken.
Ob sich auch das Publikum mit der Zeit an solche Experimente gewöhnt?