Niedlich, aber nicht unproblematisch: Positionspapier räumt mit Mythen rund um die invasiven Waschbären auf
Waschbären gelten als niedliche und harmlose Wildtiere – doch das ist ein
Trugschluss. Mit 1,6 bis 2 Millionen Tieren bedrohen die invasiven Räuber
massiv heimische Arten. Wissenschaftler*innen der Goethe-Universität
Frankfurt adressieren in einem Positionspapier weit verbreitete
Fehlinformationen und fordern wirksame Schutzmaßnahmen. Die Botschaft ist
klar: Artenschutz darf nicht der Sympathie für „possierliche“ Tiere
geopfert werden.
FRANKFURT. „Waschbären sind doch einheimische Tiere“, „Sie vermehren sich
schneller, wenn man sie bejagt.“, „Über Waschbären wurde nun wirklich
schon alles gesagt“ – das sind nur wenige der kursierenden Mythen rund um
den Waschbären. Sie halten sich hartnäckig und stellen ein gravierendes
Problem für den Artenschutz in Deutschland dar. Denn hingegen der weit
verbreitenden Annahme, dass die putzigen Tiere harmlose Neubürger seien,
sind die aus Nordamerika stammenden Räuber eine ernstzunehmende Bedrohung
für viele der hier heimischen Tiere – von Vögeln über Amphibien bis hin zu
Fledermäusen.
Über Auftreten, Ausbreitung, Auswirkungen und den Umgang mit Waschbären
wird mittlerweile bundesweit viel berichtet. Doch leider nicht immer
wissenschaftlich fundiert. Das wollen Forscher*innen der Goethe-
Universität und des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum
ändern. Prof. Dr. Sven Klimpel Leiter des Verbundforschungsprojektes
ZOWIAC (Zoonotische und wildtierökologische Auswirkungen invasiver
Carnivoren) macht deutlich: „Die öffentliche Wahrnehmung des Waschbären
als charismatisches Wildtier wird den regionalen ökologischen
Beeinträchtigungen dieser invasiven Art in Deutschland und Europa nicht
gerecht.“ Gemeinsam mit seinen Kolleg*innen hat der Parasitologe die in
der Gesellschaft vorherrschenden Annahmen über den Waschbären unter die
Lupe genommen und einem kritischen Faktencheck unterzogen. Das Ergebnis:
Ein Positionspapier, das neun weit verbreitete Mythen identifiziert und
deutliche Belege für deren Unhaltbarkeit liefert.
Alarmierende Zahlen sprechen eine klare Sprache
Mit geschätzt 1,6 bis 2 Millionen Tieren in Deutschland hat sich der
Waschbär zu einem der häufigsten wildlebenden Raubsäuger in Zentraleuropa
entwickelt. „Die Jagdstrecke hat sich seit 2005 vervierfacht – bei über
200.000 erlegten Tieren jährlich steigt die Population dennoch weiter“,
erklärt Dr. Norbert Peter, ZOWIAC-Projektleiter. Besonders dramatisch: In
Städten wie Kassel leben mittlerweile über 100 Waschbären pro 100 Hektar –
das entspricht etwa einem Waschbär pro Fußballfeld und ist eine der
höchsten Raubtierdichten Europas.
Die Folgen für heimische Arten sind regional verheerend. Studien belegen,
dass Waschbären gezielt Brutstätten von Amphibien, Reptilien und
bodenbrütenden Vögeln aufsuchen. Dabei verfallen sie oft in einen
„Jagdrausch“ und töten ganze Gelege – weit mehr, als sie verwerten können.
„Wir dokumentieren einen dramatischen Rückgang sensibler Arten in Gebieten
mit hoher Waschbärdichte“, so Peter.
Mythen mit fatalen Folgen
Besonders problematisch sind dabei weit verbreitete Fehlinformationen: So
wird häufig behauptet, die Bejagung von Waschbären führe zu verstärkter
Vermehrung – eine Fehlinterpretation einer 35 Jahre alten Studie aus den
USA. Ebenso haltlos ist die Annahme, Waschbären lebten in einem
„Matriarchat“, das durch Jagd gestört werde. „Diese Mythen haben reale
Konsequenzen“, warnt Dr. Dorian Dörge, wissenschaftlicher
Projektkoordinator. „Sie verhindern notwendige Schutzmaßnahmen und
gefährden damit bedrohte heimische Arten.“
Auch vermeintliche Alternativen wie Kastration erweisen sich als Illusion:
Bei zwei Millionen Tieren praktisch unmöglich und rechtlich problematisch,
da die EU-Verordnung die Freilassung invasiver Arten nach dem Fang
ausdrücklich verbietet.
Hinzu kommt, dass Menschen den Waschbären als besonders sympathisch
empfinden. Wissenschaftlich belegt ist, dass diese positive Wahrnehmung
die Meinung der Menschen stark beeinflussen und sogar dazu führen kann,
dass notwendige Maßnahmen zur Kontrolle dieser Tiere schwieriger
durchzusetzen sind oder nicht umgesetzt werden.
Klare Handlungsempfehlungen
Die Wissenschaftler fordern ein entschiedenes Umdenken: Bundesmittel für
abgestimmte Managementpläne der Länder, intensive Bejagung in
Schutzgebieten mit bedrohten Arten und vor allem: faktenbasierte
Aufklärung statt emotionaler Narrative. „Wir müssen den gesetzlich
verankerten Artenschutz konsequent umsetzen und dürfen diesen nicht einer
einseitigen Fokussierung auf charismatische Tierarten unterordnen“,
appelliert Klimpel an Politik und Gesellschaft.
Das vollständige Positionspapier ist auf der Webseite von ZOWIAC
verfügbar: https://zowiac.eu/2025/07/08/f
Es richtet sich an Behörden, Naturschutzverbände, Medien und alle
Bürger*innen, die sich faktenbasiert über eines der drängendsten
Naturschutzprobleme Deutschlands informieren möchten.
