Zum Hauptinhalt springen

Einzigartiges Konzept zur Beobachtung arktischen Meereises erfolgreich umgesetzt

CONTRASTS ROV-Einsatz  Quelle: Evgenii Salganik  Copyright: Alfred-Wegener-Institut
CONTRASTS ROV-Einsatz Quelle: Evgenii Salganik Copyright: Alfred-Wegener-Institut
Pin It

Die Polarstern beendete kürzlich in Longyearbyen, Svalbard, eine
zweimonatige Expedition in der Zentralarktis. Dabei stand die sommerliche
Schmelze des arktischen Meereises in drei verschiedenen Regimen im Fokus
des internationalen und interdisziplinären Forschungsteams unter Leitung
des Alfred-Wegener-Instituts. Die umfangreiche Bestandsaufnahme zeigte
große Unterschiede zwischen verschiedenen Meereisregimen sowie eine
geringe Meereiskonzentration im Untersuchungsgebiet. Außerdem dominierten
Bakterien und Zooplankton die Biologie während die erwarteten Eisalgen
kaum gefunden werden konnten.

Im Zentrum der CONTRASTS-Expedition stand erstmals der parallele Vergleich
verschiedener arktischer Meereisregime in der Hauptschmelzsaison. Dem
Forschungsteam an Bord unter Leitung von Dr. Marcel Nicolaus,
Meereisphysiker am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar-
und Meeresforschung (AWI) gelang es, drei verschiedene Eisregime zu
finden, dort Messstationen aufzubauen und sie genau unter die Lupe zu
nehmen. Marcel Nicolaus erklärt: „Wir konnten in jedem der drei Eisregime
je eine Eisscholle in den vergangenen zwei Monaten viermal anfahren und
vor Ort erforschen. Zwischen unseren Stationsarbeiten sammelten autonome
Messstationen und Kameras kontinuierlich Daten. Die Beobachtungen deckten
damit sechs Wochen der intensivsten sommerlichen Schmelzperiode ab.“

Überraschenderweise wurden während der gesamten Expedition kaum Eisalgen
in oder unter den Eisschollen gefunden, selbst in Regime 3, wo zu Beginn
nur wenig Eisschmelze stattgefunden hatte. Eine ähnliche Abwesenheit wurde
zwei Jahre zuvor während ArcWatch 1 beobachtet, während frühere
Expeditionen durchweg von einer Dominanz der Eisalgen berichteten. Ob dies
einen drastischen Rückgang der Eisalgen oder deren frühzeitiges
Abschmelzen vor CONTRASTS widerspiegelt, ist noch unklar; Sedimentproben
aus 4000 m Tiefe könnten Antworten liefern. Mit Hilfe von Mikroskopie und
dem neuen Planktoskop-System konnte Alexandra Kraberg (AWI) nur wenige
vereinzelte Eisalgenzellen unter Millionen von Phytoplankton nachweisen.
Stattdessen wurde die beobachtete hohe Biomasse durch das mikrobielle
Recycling organischer Stoffe und reichlich vorhandenes Zooplankton
unterstützt, das Kohlenstoff über Kotbällen in die Tiefsee transportierte.
Während der Studie hing die Dynamik des Ökosystems kaum vom Licht ab,
sondern wurde stark von mikrobiellen Prozessen und trophischen
Verbindungen geprägt, die es Rudderfußkrebsen und anderen Zooplankton
ermöglichten, sich von Bakterien zu ernähren. In laufenden Analysen wird
nun untersucht, wie Eisregime, Atmosphäre und Meeresbedingungen
zusammenwirken und die Ökologie und den Kohlenstoffkreislauf beeinflussen.

„In diesem Jahr war die Eiskonzentration in der Untersuchungsregion im
Juli und August ungewöhnlich niedrig, vermutlich infolge von im Frühjahr
vorherrschenden Winden, die das Eis auseinandertreiben“, berichtet Marcel
Nicolaus aus der Arktis. „Dadurch konnte die Polarstern häufig mit bis zu
5 Knoten durchs Eis fahren – deutlich schneller als die erwarteten 2,5–3
Knoten. Das gemessene Eis war trotz hohen Alters mit durchschnittlich 1,5
Metern verhältnismäßig dünn und zeigte nur wenige Presseisrücken.“ Die
Meereisausdehnung, die im September in der Arktis ihr jährliches Minimum
erreichen wird, liegt aktuell ungefähr in der Größenordnung des Vorjahres,
und damit voraussichtlich über dem Allzeitminimum im Jahr 2012. Per
Definition gilt die Fläche dann als meereisbedeckt, die eine
Eiskonzentration von mindestens 15 Prozent aufweist. Dabei spielt es für
die Berechnung der Meereisausdehnung keine Rolle, ob 100 Prozent
eisbedeckt sind oder ob das Wasser bis zu 85 Prozent offen ist.

Abgestimmt auf die Polarstern-Expedition fanden im Rahmen der IceBird-
Kampagne parallele Meereis-Messungen mit dem AWI Forschungsflugzeug Polar
6, unter der Leitung von Gerit Birnbaum (AWI), statt. Neben der Eisdicke
und der Verteilung von Schmelztümpeln wurden aus der Luft auch erstmalig
deren Tiefe anhand eines speziellen Lasers erfasst. Verteilung und Tiefe
von Schmelztümpeln haben einen entscheidenden Einfluss auf die
Energiebilanz des arktischen Eises: Die dunklen Wasserflächen auf hellem
Eis verringern die Albedo, also die Rückstrahlung von Sonnenenergie.
Deshalb stand die Entwicklung von Schmelztümpeln auch im Fokus der
Arbeiten auf den Eisschollen, mit überraschenden Ergebnissen: Schon
minimale Temperaturabnahmen von weniger als 0,5 °C konnten kurzfristige
Gefrierprozesse an der Oberfläche auslösen. Marcel Nicolaus beschreibt,
was das Forschungsteam im Juli und August beobachten konnte: „Zunächst
dominierte die Oberflächenschmelze durch warme Lufttemperaturen. Danach
schmolz das Eis zunehmend an der Unterseite durch ozeanische Wärme. Regen
beschleunigte die Schmelze zusätzlich und veränderte die
Oberflächeneigenschaften, wie Albedo, Rauigkeit, Wärmeleitfähigkeit,
Wassergehalt und damit vor allem auch die Art, wie sich das Eis in
Satellitenbildern darstellt, in kurzer Zeit stark. Besonders beeindruckend
war, wie Schmelztümpel innerhalb kurzer Zeit verschwanden, weil sie
plötzlich drainierten. Dies führte ebenso zu einer Erhöhung der Albedo wie
Schneefall.“

An Bord arbeiteten 57 wissenschaftliche Fahrtteilnehmende aus 13 Nationen
zusammen mit 43 Crewmitgliedern. Die aufgenommenen Daten und Proben
analysieren sie jetzt weiter in ihren Heimatinstituten. Die Polarstern
unternimmt eine weitere Arktisexpedition in das Seegebiet nordöstlich von
Grönland unter Leitung des physikalischen Ozeanographen Prof. Torsten
Kanzow vom Alfred-Wegener-Institut. Ende Oktober wird das Schiff in seinem
Heimathafen Bremerhaven zurückerwartet.

Hintergrund: die untersuchten Meereisregime
Ein Meereisregime ist definiert durch Alter, Herkunft, Drift und die
Bedingungen in Ozean und Atmosphäre. Die Polarstern steuerte nacheinander
drei Regime an, die sich stark voneinander unterschieden. Erste Analysen
an Bord der Polarstern bestätigten, dass das Team die richtigen
Eisschollen ausgewählt hatte. So konnten beispielsweise die Driftrouten
und damit der Ursprünge des Eises berechnet werden. Folgende Regime wurden
erforscht:
• Regime 1: einjähriges Eis in der marginalen Eiszone (MIZ), dünn und sehr
eben. Dieses Regime wird die Arktis voraussichtlich in der Zukunft
dominieren. In diesem Jahr ist es überraschend stark nach Osten
verdriftet.
• Regime 2: vorwiegend zwei- bis mehrjähriges Eis welches in der
russischen Arktis gebildet wurde und häufig Sedimenteinschlüsse aufweist.
Während es früher das Bild der zentralen Arktis bestimmte, schmilzt es
heute verstärkt, bevor es die Framstrasse erreicht.
• Regime 3: mehrjähriges Eis aus den Regionen nördlich von Grönland und
Kanada.  Das älteste und am stärksten deformierte Eis, da es über lange
Zeit hohen Drücken ausgesetzt war.  Dieses Eis ist stark zurückgegangen
und war in der Vergangenheit weit verbreitet.