Zum Hauptinhalt springen

Weltklimakonferenz: „Belém ist ein Signal“

Pin It

Der aus Brasilien stammende Soziologieprofessor Eduardo Gonçalves Gresse
erforscht im Exzellenzcluster für Klimaforschung CLICCS an der Universität
Hamburg, wie Weltklimakonferenzen funktionieren. Als Beobachter nimmt er
an der COP30 in seinem Heimatland teil – mit skeptischer Hoffnung, wie er
erklärt.

Herr Gresse, Sie fahren zur Weltklimakonferenz in Ihr Heimatland
Brasilien. Was bedeutet das für Sie?
Ich freue mich sehr, dass die COP ausgerechnet in Brasilien stattfindet.
Nach Jahren mehrerer Krisen und dem anti-ökologischem Rückschritt unter
dem früheren brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro hat der jetzige
Präsident Lula da Silva verkündet, dass die nächste Konferenz hier
stattfinden soll, im Herzen des Amazonas. Das ist ein politisches Signal,
um Brasilien – mit seiner starken diplomatischen Tradition und seiner
eigentlichen Führungsrolle in der globalen Umweltpolitik – wieder auf die
internationale Bühne zurückzubringen. Das Land hat da eine lange
Tradition: vom Weltsozialforum in Porto Alegre bis zur Rio-Konferenz 1992.

Warum gerade Belém? Was macht die Stadt aus?
Belém ist eine pulsierende, multikulturelle Metropole am Rande des
Regenwalds. Ich bin zwar weit weg in São Paulo geboren und aufgewachsen,
war aber als Kind mehrmals dort. Es ist ganz anders, allein kulinarisch.
In Belém findet man eine beeindruckende Vielfalt an Früchten und
Lebensmitteln, die in anderen Regionen Brasiliens oder der Welt kaum
bekannt sind. Die lokale Kunst und Kultur sind auch faszinierend.
Gleichzeitig ist die Stadt – wie viele brasilianische Großstädte – von
tiefen sozialen Ungleichheiten geprägt.

Welche Rolle spielt Brasilien in der internationalen Klimapolitik?
Brasilien hatte über Jahrzehnte eine starke diplomatische Tradition als
Vermittler zwischen dem globalen Norden und Süden. Während der Bolsonaro-
Jahre, von 2019 bis 2022, fiel das Land in ein politisches Vakuum. Jair
Bolsonaro hat sich jedoch nicht getraut, aus dem Pariser Abkommen
auszusteigen. Er hätte wenig gewonnen. Faktisch hat seine Regierung jedoch
gegen alles gearbeitet, wofür das Abkommen steht. Präsident Lula versucht,
die alte Rolle zurückzugewinnen. Doch während die Abholzung des Regenwalds
nun etwas langsamer voranschreitet, wird wieder nach Öl gesucht. Lula
sagt, sein Land wolle langfristig ohne fossile Energien auskommen, aber er
sei „realistisch“: Die Welt sei noch nicht bereit, ohne Öl zu leben. Das
zeigt, dass Brasilien eine ambivalente Rolle spielt. Einerseits ist
COP30-Präsident André Corrêa do Lago ein Diplomat mit Wirtschafts- und
Klimahintergrund. Er und sein Team sind fachlich kompetent und werden sich
dafür einsetzen, die Finanzierung und internationale Kooperation in Sachen
Klimaschutz und Klimaanpassung zu stärken. Anderseits ist Brasilien ein
wichtiger Ölproduzent, und seine nationale Umweltpolitik steht ständig
unter Beschuss.

Zu oft ging es bei den COPs nicht voran. Wie blicken Sie auf diese
Konferenz?
Mit einer skeptischen Hoffnung, dass die COP30 tatsächlich die „COP der
Umsetzung” sein wird, wie von Lula und dem COP-Präsidenten versprochen.
Auf der Generalversammlung der Staats- und Regierungschefs vor ein paar
Tagen in Belém sagte Lula selbst, dass wir einen Weg brauchen, um auf
planvolle und gerechte Weise die Entwaldung umzukehren sowie die
Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu überwinden, und die notwendigen
Ressourcen zu mobilisieren, um diese Ziele zu erreichen. Damit dies
realistisch ist, wäre es wichtig, dass die Konferenz neue Allianzen
hervorbringt – gerade jetzt, in der Krise des Multilateralismus. Die USA
wenden sich gegen Klimaschutz, es gibt Kriege, Spannungen, Rückschritte.
Umso wichtiger ist es, dass Länder wie Brasilien vermitteln und zeigen,
dass eine internationale Zusammenarbeit für Klimaschutz und Gerechtigkeit
weiterhin möglich ist.

Was werden Sie in Belém konkret tun?
Ich werde sowohl auf der offiziellen COP sein, als auch auf dem
zivilgesellschaftlichen Parallelgipfel, dem Cupula dos Povos, teilnehmen.
Die Verbindungen zwischen Politik, Forschung und Zivilgesellschaft sind
für mich das Spannende an Belém.

Was erforschen Sie auf der COP als Soziologe?
Unser internationales Forschungsteam aus Brasilien, Frankreich und
Deutschland betreibt dort eine sogenannte kollektive Ethnografie. Wir
beobachten die Konferenz selbst: die Verhandlungen, die Rituale, die
Versprechen. Wie entstehen Narrative und welche Macht haben sie? Besonders
interessant für mich: Wie Brasilien in den Verhandlungen performt und wie
das globale Ziel für Klimawandelanpassung verhandelt und umgesetzt wird.
Das ist viel komplexer als das Thema, weniger Treibhausgas auszustoßen.
Denn Klimaanpassung, zum Beispiel an Überschwemmungen oder an Extremhitze,
ist ein Prozess, der ständig im Gange ist und immer lokale Gegebenheiten
einbeziehen muss.

Hintergrund:
Eduardo Gonçalves Gresse ist Soziologe und derzeit Vertretungsprofessor an
der Universität Hamburg. Zentrales Thema seiner Forschung ist, wie
Gesellschaften auf den Klimawandel reagieren und welche Faktoren sozial-
ökologischen Transformationen fördern oder behindern. Zudem befasst er
sich damit, wie unterschiedliche Wissenssysteme (etwa indigenes Wissen) in
Klimaforschung und -politik integriert werden. Als Mitherausgeber des
Hamburg Climate Futures Outlook entwickelt er Methoden, um die
gesellschaftliche Plausibilität verschiedener Klimazukünfte zu bewerten.
Gresse ist Mitgründer der NGO Instituto Terroá, die lokale
Nachhaltigkeitsinitiativen in Lateinamerika unterstützt.

Der Exzellenzcluster CLICCS wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft
(DFG) gefördert. Er ist am Earth and Society Research Hub (ESRAH, ehem.
CEN) der Universität Hamburg angesiedelt und arbeitet mit elf
Partnerinstituten eng zusammen, darunter sind das Max-Planck-Institut für
Meteorologie in Hamburg, das Helmholtz-Zentrum Hereon und das Deutsche
Klimarechenzentrum. CLICCS leitet aus seiner Grundlagenforschung immer
wieder auch Handlungsempfehlungen für die Politik ab.