Konflikt im Seminarraum
EU-Projekt entwickelt Strategien für den Umgang mit Polarisierung an
Hochschulen Konflikte bleiben nicht vor der Hörsaaltür stehen. Kriege wie in der
Ukraine oder in Gaza, aber auch soziale Spannungen innerhalb europäischer
Gesellschaften führen zunehmend zu emotional aufgeladenen Diskussionen im
Seminarraum. Lehrende sehen sich mit polarisierenden Meinungen,
ideologischen Fronten und biografisch geprägten Perspektiven konfrontiert,
die den universitären Lernraum herausfordern.
Mit dem neuen
Erasmus+-Kooperationsprojekt „Navigating Conflict in the Classroom:
Teaching and Learning in Times of Societal and Political Polarisation
(NAVINCLASS)“ reagiert das Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-
Universität Marburg mit fünf europäischen Partnern auf diese Dynamiken –
und möchte sie als Ausgangspunkt für neue didaktische Ansätze nutzen.
„Wo unterschiedliche Perspektiven aufeinandertreffen, entsteht
Lernpotenzial“, sagt die Vizepräsidentin der Uni Marburg, Prof. Dr. Sabine
Pankuweit. „NAVINCLASS unterstützt Lehrende darin, kontroverse Themen
nicht zu scheuen, sondern sie bewusst in Lernprozesse einzubeziehen. Das
ist ein wichtiger Beitrag zu einer reflektierten und demokratischen
Bildungskultur.“
„Das Projekt ist sehr innovativ: Wir übertragen bewährte Methoden aus der
Friedens- und Konfliktforschung in den Hochschulkontext“, ergänzt Prof.
Dr. Thorsten Bonacker vom Zentrum für Konfliktforschung. „Statt Konflikte
im Seminar zu vermeiden, lernen wir, sie als Lernanlass zu begreifen – und
produktiv damit umzugehen.“
Konflikte wie der Nahostkonflikt, der Ukrainekrieg oder der Bürgerkrieg in
Syrien sorgen nicht nur für internationale Schlagzeilen – sie beeinflussen
Studierende direkt, etwa durch eigene familiäre oder politische Bezüge.
Was in Lehrveranstaltungen diskutiert wird, kann schnell emotional,
persönlich und kontrovers werden. Polarisierung im Seminarraum ist keine
Ausnahme mehr, sondern wird für viele Lehrende zur Realität. Dr. Stéphane
Voell, Koordinator von NAVINCLASS, betont: „Wir erleben in vielen
Seminaren eine Verhärtung von Positionen. Unser Ziel ist es, nicht nur auf
Konflikte zu reagieren, sondern Formate zu schaffen, in denen
Polarisierung reflektiert, aufgearbeitet und methodisch eingebunden werden
kann.“
NAVINCLASS entwickelt konkrete Werkzeuge, partizipative Konfliktanalysen
und simulationsbasierte Workshops. Konflikte im Klassenzimmer werden nicht
länger als Störung verstanden, sondern als Potenzial für tiefere
Lernprozesse. Dabei kooperieren sechs europäische Universitäten: Philipps-
Universität Marburg (Koordination), Universität Coimbra (Portugal), die
Babeș-Bolyai-Universität Cluj (Rumänien), Päpstliche Universität Comillas
Madrid (Spanien) sowie Universität Sarajevo und Universität Mostar
(Bosnien und Herzegowina). Neben Marburg, sind drei weitere dieser
Universitäten auch in der Europäischen Hochschulallianz für Frieden,
Gerechtigkeit und inklusive Gesellschaften (EUPeace) organisiert. Die
Erkenntnisse aus NAVINCLASS werden auch wichtig für die Lehre in der
gesamten Allianz EUPeace werden.
Im Zentrum des Projekts stehen die Entwicklung von praxisnahen Leitlinien,
Trainingsmodulen für Lehrende und Workshops mit Studierenden, um Konflikte
im Hörsaal nicht nur zu entschärfen, sondern gezielt für kritisches
Denken, Perspektivwechsel und gemeinsame Lösungsfindung zu nutzen.
NAVINCLASS verfolgt dabei einen friedenspädagogischen Ansatz, der
respektvolle, inklusive Lernräume fördert – gerade dort, wo Unterschiede
und Spannungen spürbar werden. „Gerade weil wir Konflikten nicht
ausweichen können, brauchen wir Kompetenzen, mit ihnen konstruktiv
umzugehen. Hochschulen spielen hier eine Schlüsselrolle – und NAVINCLASS
gibt ihnen das nötige Werkzeug an die Hand“, so Bonacker.
Europäische Kooperation
NAVINCLASS erhält eine Förderung von 400.000 Euro im Rahmen der Erasmus+
Cooperation Partnerships der Europäischen Union. Das Projekt beginnt am
01.12.2025 mit einer Laufzeit von 3 Jahren. Neben der koordinierenden
Philipps-Universität Marburg sind die Universität Coimbra (Portugal), die
Babeș-Bolyai-Universität Cluj (Rumänien), Päpstliche Universität Comillas
Madrid (Spanien) sowie Universität Sarajevo und Universität Mostar
(Bosnien und Herzegowina) am Projekt beteiligt
