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Klimakrise: Warum Städte jetzt Zukunft bauen müssen

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Sieben planetare Grenzen sind bereits überschritten: Prof. Mario Tvrtkovic
von der Hochschule Coburg wünscht sich mutige Politik für die Zukunft. Er
forscht und lehrt im Studiengang Architektur an der Fakultät Design +
Bauen der Hochschule Coburg zu Transformation, zu nachhaltigem Städtebau
und der Entwicklung von Stadt und Land. Weil er den Eindruck hat, dass
aktuell zum Thema Klimakrise „viel Meinung, viel Populismus, wenig Wissen“
gibt, spricht er über den Stand der Wissenschaft – und die wichtige Rolle
von Städten und Hochschulen.



Sie haben sich intensiv mit den neuesten Studien zum Zustand der
Erdsysteme intensiv auseinandergesetzt. Was sind die wichtigsten
Erkenntnisse?
Prof. Mario Tvrtkovic: Ein neuer Bericht des „Planetary Boundaries Science
Lab“ am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) zeigt, dass
mittlerweile sieben der neun kritischen Belastungsgrenzen des Erdsystems
überschritten sind: Klimawandel, Integrität der Biosphäre, Veränderung der
Landnutzung, Veränderung des Süßwasserkreislaufs, Veränderung der
biogeochemischen Kreisläufe, Eintrag menschengemachter Substanzen und
Ozeanversauerung. Funktionierende Erdsystemprozesse sind Voraussetzung
dafür, dass die Menschheit sicher leben kann und die Natur
widerstandsfähig bleibt. Der Zustand unseres Planeten verschlechtert sich
zunehmend. Die globale Klimakrise ist mittlerweile ein Hauptgrund für
globale Instabilität.

Hat die Weltgemeinschaft bei der Weltklimakonferenz in Brasilien
angemessen reagiert?
Kurz gesagt: nein. Es gab Hoffnung, einen verbindlichen Fahrplan für den
schrittweisen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen bis 2050 zu entwickeln.
Eigentlich sollten die globalen Emissionen jährlich um etwa fünf Prozent
gesenkt werden. Dies ist nicht gelungen. Immerhin gibt es weitere neue
Initiativen, die auf Freiwilligkeit und Kooperationen setzen. Diese gilt
es zu stärken. Die internationale Finanzierung für Klimaschutz in
Entwicklungsländern wurde ebenfalls nicht verbindlich mit Summen
hinterlegt. Aber zumindest wurde sie als Absicht festgehalten. Eine
wichtige Initiative für den Schutz des Regenwaldes wurde gestartet. In der
Summe aber zu wenig, zu langsam, zu spät. Es bleibt viel zu tun.

Wie bewerten Sie diesbezüglich die aktuellen politischen Entscheidungen in
Deutschland und der EU?
Wir erleben auch in Deutschland einen Rollback – trotz hoher
gesellschaftlicher Zustimmung zu Klimaschutzmaßnahmen. Untersuchungen des
deutschen Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2024 belegen, dass 86 Prozent der
Menschen in Deutschland von ihren Regierungen mehr Anstrengungen zum
Schutz des Klimas fordern. Bereits 2009 hat sich Deutschland, wie viele
andere Länder auch, das Ziel gesetzt, im Jahr 2025 fossile Subventionen zu
beenden. Davon sind wir heute weit entfernt. Dem IWF zufolge haben die
fossilen Subventionen in Deutschland allein 2023 etwa 70 Milliarden Euro
betragen. In den vergangenen Wochen wurden die fossilen Subventionen durch
pauschale Stromrabattierung ohne Lenkungswirkung, Senkung der Steuer für
Flugtickets und ähnliches weiter erhöht. Die staatliche Förderung fossiler
Energien erschwert den Klimaschutz und die Erreichung nationaler und EU-
weiter Klimaziele.

Internationale Forschungsteams warnen immer dringlicher – warum kommen die
wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht in der politischen Umsetzung an?
Politik arbeitet im Rhythmus von Legislaturperioden. Die Klimakrise nicht.
Politische Entscheidungen werden oft von Macht, kurzfristigen Zyklen,
Wirtschaftsinteressen und den Interessen der Wählerinnen und Wähler
beeinflusst. Zudem sind wissenschaftliche Erkenntnisse komplex und die
Wirkungen interpretierbar. So etwas wie die Nachhaltigkeitskrise mit
globalem Ausmaß und Auswirkungen in der Zukunft werden als „Wicked
Problems“ bezeichnet, übersetzt bedeutet das in etwa komplexe,
vielschichtige Probleme ohne klare oder einfache Lösung. Bei so etwas
erfordert die Umsetzung der Maßnahmen Durchhaltekraft und viel
Kommunikation. Im Moment ist das Gegenteil der Fall: viel Meinung, viel
Populismus, wenig Wissen.

Was muss passieren, damit Politik wissenschaftliche Fakten stärker
einbezieht?
Eine Lösung könnte die Stärkung von wissenschaftlicher Beratung –
beispielsweise durch einen Expertenrat Klima – sein. Mit einer
intergenerationalen Perspektive, Einbindung der Zivilgesellschaft und
Transdisziplinarität, Schaffung klarer politischer Rahmenbedingungen für
Ziele des Klimaschutzes, wie durch den Bundesverfassungsgericht-Beschluss
aus 2021 gefordert. Die Maßnahmen müssen besser umgesetzt und fortlaufend
evaluiert werden. Vor allem sind langfristige politische Kooperationen und
Allianzen nötig.

Sie sind Architekt und Städteplaner – warum werden Städte die
entscheidenden Schauplätze der Transformation sein?
Städte sind Verursacher und Betroffene zugleich. In den Städten werden die
meisten Treibhausgasemissionen - durch Wohnen, Mobilität und
wirtschaftliche Aktivitäten -  ausgestoßen. Zugleich sind Auswirkungen der
Klimakrise durch Extremwetter, Hitzeinseln usw. besonders in den Städten
spürbar. Andererseits können dort Impulse für neue innovative soziale
Praktiken und Technologien entstehen und auch skaliert werden. Städte
können hier viel ausrichten.

Welchen Vorteil haben Kommunen, die konsequent in Richtung nachhaltige
Transformation steuern?
Die wichtigsten Aufgaben der Kommunen sind Daseinsfürsorge, Sicherheit,
Bildung und Soziales. Transformation als Gestaltungsaufgabe für
lebenswerte Städte und Regionen trägt entscheidend dazu bei, dass diese
Aufgaben jetzt und in der Zukunft gut bewältigt werden können. Stichwort
ist: urbane Resilienz. Die Klimakrise mit Starkregen, Hitze,
Umweltkatastrophen und ähnliches – auf solche Krisen bereiten sich
Kommunen aktiv vor, wenn sie jetzt handeln. Dann können sie darauf besser
reagieren, sparen künftig und stehen gesellschaftlich besser da. Der
Ausbau blau-grüner Infrastruktur (Wasser, Bäume, Schattenplätze…) ist
neben dem raschen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und dem Umstieg auf
erneuerbare Energien eine wichtige kommunale Aufgabe.

Welche Rolle spielt die Hochschule dabei?
Universitäten und Hochschulen nehmen in diesem Kontext eine Schlüsselrolle
ein, da sie als Bildungsstätten zukünftiger Expertinnen und Experten des
transformativen Handelns fungieren. Durch transdisziplinäres Engagement
und Wissenstransfer fördern sie eine Kultur sozialer, ökologischer und
wirtschaftlicher Verantwortlichkeit, innerhalb der planetaren Leitplanken.
Sie bereiten zukünftige Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger
und diejenigen, die gestalten, auf die anstehenden Aufgaben vor,
generieren das hierfür erforderliche Wissen, ziehen Rückschlüsse für die
Anwendung und die Planung und erproben wegweisende Konzepte. Hochschulen
sind zudem in der Rolle als Mittler und als Plattformen des
wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurses gefordert, und sie
tragen Verantwortung. Engagierte Wissenschaft macht sich auf den Weg von
Wissen zum Tun, denn nur so bleiben wir auch glaubhaft. Das Privileg, mehr
zu wissen, geht mit Verantwortung gegenüber künftiger Generationen und
Gesellschaft einher.