rritierende Bilder: Kühe erobern Foyer der Württembergischen Landesbibliothek
Bis 14.01.2026: Projekt „Point of Kuh“ zeigt künstlerische Fotos von
Nikita Teryoshin zu Milchwirtschaft, Milchviehhaltung & Tierversuche in
Kooperation mit Uni Hohenheim
Ein Aussteller, der die Hautverletzung einer Kuh mit Autolack kaschiert,
eine preisgekrönte Hochleistungskuh auf rotem Teppich oder die
Versuchskühe der Universität Hohenheim auf der Weide: Auf mannshohen
Leuchtstelen, mit eigener Ästhetik und mit ironischem Blick präsentiert
der renommierte Fotograf Nikita Teryoshin unbekannte und unerwartete
Facetten von Milchproduktion, Milchviehhaltung und Nutztierforschung im
Foyer der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart. Für das Projekt
„Point of Kuh“ wurden die Bilder durch Statements von Studierenden der
Agrarwissenschaften, Professor:innen und Mitarbeiter:innen der Universität
Hohenheim ergänzt. Bis 14. Januar 2026, Mo-Fr 8-22 Uhr; Sa 10-20 Uhr.
Virtuelle Ausstellung: www.uni-hohenheim.de/point-of-
„Die Milchproduktion sieht lange nicht mehr aus, wie auf der grünen Weide
von der Milchverpackung. Mit Hilfe von Computertechnologie gelang es
deutschen Wissenschaftlern und Züchtern ein Tier zu „designen“, das bis zu
viermal mehr Milch produziert und „unerwünschte“ Merkmale wie Hörner nach
und nach verliert“, erklärt Fotograf Nikita Teryoshin.
„Meine Bilder fangen oft skurril anmutende Momente auf Messen und
Tierschauen, Auktionen und Labors ein und zeigen, wie der menschliche
Durst nach Kuhmilch gestillt wird und was das Tier dafür in Kauf nehmen
muss. Dabei soll auch das Verhältnis des Menschen zur Kuh kritisch
hinterfragt werden, ob auf der Farm, an der Uni oder vor dem Kühlregal.“
Besonderes Interesse für Hohenheimer Versuchskühe
Aus diesem Interesse heraus wandte sich Teryoshin 2024 auch an die
Universität Hohenheim mit dem Wunsch, die Hohenheimer Versuchskühe mit
sogenannter „Pansenfistel“ zu fotografieren. Dabei handelt es sich um eine
künstliche Öffnung mit Silikonverschluss an der Flanke der Kuh.
Wissenschaftlich lassen sich dadurch eine Reihe von Themen bearbeiten. Ein
besonderer Schwerpunkt an der Universität Hohenheim ist dabei die
Wechselwirkung zwischen Kuh und den Abermillionen Mikroorganismen in ihrem
Verdauungstrakt. Sie bestimmt unter anderem, welche Art von Futter die Kuh
wie gut verwertet, ob dabei klimaschädliche Gase wie Methan entstehen, wie
krankheitsanfällig die Kuh ist oder ob sie sich insgesamt wohlfühlt.
Dabei führen auch die Versuchskühe ein normales Kuhleben mit Artgenossen
im Stall und auf der Weide. Sie bekommen Kälber, werden täglich gemolken
und lassen sich auch bei der Probennahme aus dem Pansen nicht vom Fressen
abhalten.
Foto-Anfrage führt zu campus-weitem Dialog-Projekt
„An der Universität Hohenheim waren wir schnell begeistert von den Bildern
von Herrn Teryoshin und von den Fragen, die er damit aufwirft“, berichtet
Prof. Dr. Claudia Bieling, eine der Organisatorinnen des Projektes „Point
of Kuh“. „Wir haben uns deshalb entschlossen, diese Aufforderung zur
Diskussion aufzunehmen. In der Folgezeit haben wir innerhalb der Fakultät
Agrarwissenschaft dazu aufgerufen, eigene Assoziationen zu den Fotos und
Begleittexte zu verfassen“, ergänzt Co-Organisatorin Prof. Dr. Regina
Birner.
„Als Rektor der Universität Hohenheim beeindruckt mich vor allem die
Vielfalt der teils fachlichen, teils sehr persönlichen Perspektiven“,
betont Rektor Prof. Dr. Christoph Schneider. So sähe eine Betrachterin in
einer Kuh auf rotem Teppich ein Symbol von „Verantwortung und Fürsorge für
das Tier“, ein anderer Betrachter sieht eine „Überspitzung des
Kapitalismus“ und „makabren Glamour“.
„Das Beispiel zeigt: Unsere Universität mit ihren 10.000 Mitgliedern ist
genauso vielseitig, wie unsere Gesellschaft. Umso wichtiger ist es, dass
wir auch hier die Debatten führen, die die Gesellschaft bewegen“, so der
Rektor.
Dr. Rupert Schaab, Direktor der Württembergischen Landesbibliothek
ergänzt: "Auch wenn die Entwicklung von Rindern die Menschheit schon
Jahrtausende begleitet, so zeigt die Ausstellung, wie stark und vielfältig
die Agrarwissenschaft inzwischen diese Entwicklung gestaltet. Zu wenigen
Tieren haben wir so enge emotionale Bindungen, weshalb uns diese Eingriffe
irritieren. Um aus dieser Irritation mitten in der Stadt in eine
fruchtbare Auseinandersetzung über die vielfältigen Aspekte moderner
Nutztierwirtschaft zu gelangen, bietet die Württembergische
Landesbibliothek gerne die Gelegenheit".
HINTERGRUND: Ausstellungsdauer und -orte
Das Ausstellungsprojekt „Point of Kuh“ ist bis 14. Januar 2026 an zwei
Orten zu sehen: im Foyer der Württembergischen Landesbibliothek (Konrad-
Adenauer-Str. 17, 70173 Stuttgart) und im Foyer des Hohenheimer
Biologiezentrums (Garbenstr. 30, 70599 Stuttgart).
Virtuelle Ausstellung: www.uni-hohenheim.de/point-of-
HINTERGRUND: Nikita Teryoshin
Nikita Teryoshin (*1986 in Leningrad, heute St. Petersburg) lebt in Berlin
und arbeitet international. Seine oft ironisch-skurrilen Bilder leuchten
Hinterzimmer von Wirtschaft und Politik aus oder erforschen das Verhältnis
von Mensch und Tier. Teryoshin arbeitet u.a. für DIE ZEIT, Stern, Spiegel,
New York Times, Le Monde, VICE und WIRED. Seine Arbeiten wurden mehrfach
ausgezeichnet, unter anderem mit dem renommierten World Press Photo Award.
Kostproben: https://nikitateryoshin.com
HINTERGRUND: Tierversuche und Forschungszentrum HoLMiR
Die fistulierten Kühe dienen insbesondere zum Schwerpunkt der
Mikrobiomforschung an der Universität Hohenheim. Thema ist die bedeutende,
jedoch noch weitgehend unverstandene Wechselwirkung zwischen Lebewesen und
den Mikroorganismen, die insbesondere den Verdauungstrakt besiedeln. Um
diese Forschungslücke zu schließen, etablierte die Universität Hohenheim
das „Hohenheim Center for Livestock Microbiom Research (HoLMiR) mit zehn
Arbeitsgruppen und drei Forschungsgruppen geleitet von Forschenden früher
Karrierestufen. Mehr dazu: holmir.uni-hohenheim.de
Aufschluss über den Umfang der Tierversuche an der Universität Hohenheim
gibt die offizielle Versuchstiermeldung. Diese erfasst jedes Versuchstier,
an dem ein Tierversuch abgeschlossen wurde. Laut der jüngsten
ausgewerteten Versuchstiermeldung von 2023 waren dies genau 4.368 Tiere.
Die häufigsten Versuchstiere waren Hühner (72 %), gefolgt von Mäusen (14
%) und Siebenschläfern, die in freier Wildbahn markiert wurden (8 %).
Weitere Infos: www.uni-hohenheim.de/tierversu
Text: Klebs
