Moderne Diabetestechnologie ermöglicht fast uneingeschränkte berufliche Teilhabe von Menschen mit Diabetes
7 von 10 Menschen mit Diabetes sind im erwerbsfähigen Alter – und die
meisten von ihnen tragen täglich wesentlich zur Wertschöpfung in
Deutschland bei. Doch erleben viele nach wie vor Vorbehalte, Unsicherheit
und teilweise auch Ausschluss im Beruf, obwohl die moderne Diabetologie
längst zeigt: Wer gut eingestellt ist, kann nahezu jede Tätigkeit sicher
ausüben.
Anlässlich des Weltdiabetestags 2025 unter dem Motto „Diabetes and well-
being – Diabetes and the Workplace“ ruft der Ausschuss „Diabetes und
Soziales“ der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) Arbeitgeber,
Betriebsärzte und Politik dazu auf, die Realität in der Diabetologie auch
in den arbeitsmedizinischen Regelwerken abzubilden und Barrieren
abzubauen.
Rund 2 Millionen Berufstätige in Deutschland leben mit Diabetes. Dank
moderner Therapien und digitaler Technologien wie CGM (kontinuierlicher
Glukosemessung), AID-Systeme (Automated Insulin Delivery), Insulinpumpen
und neuen Medikamenten können Menschen mit Diabetes ihre Erkrankung heute
sicher managen und sind in der Lage, fast jede berufliche Herausforderung
zu meistern. „Diese Fortschritte haben die Arbeitsfähigkeit von Menschen
mit Diabetes revolutioniert“, sagt Dr. med. Wolfgang Wagener, Vorsitzender
des Ausschusses Soziales der DDG und Facharzt für Innere Medizin;
Diabetologe (DDG), Palliativmedizin, Sozialmedizin und Medizinethik
(M.A.). „Für die meisten Betroffenen entfallen nahezu alle früheren
Einschränkungen im Berufsleben: Die Lebenserwartung liegt heute fast auf
dem Niveau stoffwechselgesunder Menschen, und die Zahl der Fehltage ist
verglichen mit anderen Erkrankungen gering und weiter rückläufig. Wir sind
heute medizinisch und technisch deutlich weiter als vor 20 oder 30
Jahren.“
Alte Denkmuster behindern Chancen
Trotz dieser Entwicklungen gelten in bestimmten Berufsfeldern wie Polizei,
Bundeswehr, Zoll oder im Schienenverkehr weiterhin Ausschlusskriterien für
Menschen mit Diabetes. „Diese Regelungen stammen aus einer Zeit, in der
Unterzuckerungen schwer vorhersehbar waren“, erklärt Wagener. „Auf
Grundlage der Gefährdungsbeurteilung (GBU) lt. § 5 ArbeitsSchutzGesetz,
muss heute begründet werden, warum ein Mensch mit Diabetes nicht
ausgebildet oder bei entsprechender Qualifikation nicht am betreffenden
Arbeitsplatz eingesetzt wird. Die Beweispflicht, dass eine Tätigkeit nicht
ausgeübt werden kann, liegt also beim Arbeitgeber und dessen
Betriebsärztin bzw. -arzt mit Rücksprache der behandelnden Diabetologin
bzw. Diabetologen. Ein genereller Ausschluss von Menschen mit Diabetes
ohne individuelle Gefährdungsbeurteilung diskriminiert Betroffene in ihren
beruflichen Möglichkeiten und ist unhaltbar.“
Wagener plädiert dafür, die arbeitsmedizinischen Eignungsrichtlinien an
den Stand der Wissenschaft anzupassen – nach dem Vorbild anderer
europäischer Länder wie Großbritannien oder Österreich, in denen bereits
individuelle Risikobewertungen üblich sind. „Technisch und medizinisch
sind wir heute weiter als viele gesetzliche Regelwerke“, so Wagener.
„Diese Lücke müssen wir schließen – im Interesse der Betroffenen, aber
auch im Interesse der Wirtschaft. Denn jeder Mensch mit Diabetes, der
arbeitsfähig ist, stärkt unsere Leistungsfähigkeit als Gesellschaft.“
Veraltete Verordnungen fördern nicht nur die Diskriminierung und den
Ausschluss ganzer Bevölkerungsgruppen, sie verstärken zudem den
Fachkräftemangel unnötig.
Erfreulich hingegen sei, dass die Verbeamtung von Menschen mit Diabetes in
weiten Bereichen des öffentlichen Dienstes heute kaum noch Probleme
bereitet, so Wagener.
Wissen auffrischen, Vorurteile abbauen
Auch Professorin Dr. med. Julia Szendrödi, Präsidentin der DDG, sieht
Aufklärung als zentralen Hebel: Die Ärztliche Direktorin der Klinik für
Endokrinologie, Diabetologie, Stoffwechselkrankheiten und Klinische Chemie
des Universitätsklinikums Heidelberg richtet Ihren Apell daher speziell an
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie Arbeitsmedizinerinnen und
Arbeitsmediziner: „Wissen schützt vor Vorurteilen. Wer versteht, was
moderne Diabetestechnologie und eine individuelle Therapie leisten kann,
erkennt, dass Diabetes kein Ausschlusskriterium mehr ist.“
Wohlbefinden entsteht, wo Verständnis wächst
„Ein unterstützendes Arbeitsumfeld ist entscheidend für das Wohlbefinden
Betroffener“, sagt Szendrödi. „Arbeit ist ein integraler Teil des Lebens –
und damit auch ein Schlüssel für Gesundheit und Lebensqualität. Wer
Akzeptanz und Unterstützung erfährt, bleibt länger leistungsfähig und
psychisch stabil. Arbeitgeber sollten wissen, was Diabetes im Alltag
bedeutet – und wie sie Beschäftigte unterstützen können.“
Die DDG begrüßt daher, dass das diesjährige Motto des Weltdiabetestags
„Diabetes and well-being at Work“ auf dieses wichtige Thema aufmerksam
macht. Die Fachgesellschaft und ihr Ausschuss „Diabetes und Soziales“
rufen dazu auf, Wissen zu stärken und Vorurteile abzubauen.
Politik und Gesellschaft in der Pflicht
„Wichtig ist es jetzt, veraltete Denkmuster und Vorschriften aufzubrechen.
Arbeitgeber, Betriebsärzte und Entscheidungsträger sollten den
wissenschaftlichen Fortschritt in der Diabetologie stärker berücksichtigen
– wir müssen das Denken verändern“, so Wagener. „Nicht die Erkrankung
schränkt ein, sondern die Rahmenbedingungen. Die moderne Diabetologie hat
längst die Voraussetzungen geschaffen, dass Menschen mit Diabetes in
nahezu allen Berufen arbeiten können. Jetzt gilt es, dieses Wissen in der
Praxis umzusetzen – durch zeitgemäße Beurteilungen und Offenheit in der
Arbeitswelt.“
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Über die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG):
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) ist mit mehr als 9300 Mitgliedern
eine der großen medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften in
Deutschland. Sie unterstützt Wissenschaft und Forschung, engagiert sich
seit 1964 in Fort- und Weiterbildung, zertifiziert
Behandlungseinrichtungen und entwickelt Leitlinien. Ziel ist eine
wirksamere Prävention und Behandlung der Volkskrankheit Diabetes, von der
mehr als 9 Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind. Zu diesem
Zweck unternimmt sie auch umfangreiche gesundheitspolitische Aktivitäten.
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