Weltdiabetestag 2025: Wie Diabetes und Depressionen zusammenhängen – und was man selbst tun kann
Menschen mit Diabetes haben etwa doppelt so häufig eine Depression wie
Menschen ohne Diabetes. Treten beide Erkrankungen zusammen auf, kann das
weitreichende Folgen für die Lebensqualität, den Verlauf des Diabetes und
für die Kosten im Gesundheitssystem haben. Anlässlich des Weltdiabetestag
am 14. November erläuterten drei Expertinnen und Experten in einer
Pressekonferenz des Deutschen Diabetes-Zentrums (DDZ), wie hoch das Risiko
für das gleichzeitige Auftreten wirklich ist, was bei einer Depression
hilft und warum psychische Gesundheit fester Bestandteil der
Diabetestherapie sein sollte.
„Wir gehen heute davon aus, dass sich Diabetes und Depression gegenseitig
beeinflussen und dass psychische Gesundheit bedeutsam für eine
erfolgreiche Diabetestherapie ist“, sagt Prof. Andrea Icks, Direktorin des
Instituts für Versorgungsforschung und Gesundheitsökonomie am DDZ in
Düsseldorf. „Menschen mit Diabetes haben etwa doppelt so häufig eine
Depression wie Menschen ohne diese Stoffwechselerkrankung (etwa 20 Prozent
gegenüber 10 Prozent). Denn Diabetes ist mit einem erhöhten Risiko für
eine Depression verbunden, umgekehrt steigt bei Depressionen die
Wahrscheinlichkeit, Diabetes zu entwickeln“, fügt Andrea Icks hinzu.
Zahlreiche internationale Studien zeigen: Die Risikoerhöhung liegt je nach
Art der Studie in beiden Richtungen bei rund 10 bis 60 Prozent, je nach
Studiendesign. In der deutschen RECALL Studie hatten rund 12 Prozent der
Teilnehmenden ohne Diabetes und ohne vorherige Depression nach zehn Jahren
eine Depression. Hingegen waren es bei Teilnehmenden mit Diabetes rund 15
Prozent – eine Steigerung um ein Viertel. Dafür werden verschiedene
Ursachen genannt. Bei einer Depression können etwa Antidepressiva oder ein
ungesunder Lebensstil die Entstehung von Diabetes begünstigen. Umgekehrt
kann die chronische Belastung bei Diabetes, insbesondere bei
Folgekomplikationen, ein Risiko für eine Depression sein. Auch biologische
Prozesse wie chronische Entzündungen oder eine Insulinresistenz im Gehirn
können eine Rolle spielen.
Mehr Krankenhausaufenthalte, mehr Krankentage
Treten Diabetes und Depression gemeinsam auf, haben die betroffene
Personen im Schnitt schlechtere Blutzuckerwerte und mehr Komplikationen.
Auch die Behandlungskosten sind dann deutlich höher. „In einer Studie aus
Deutschland lagen die jährlichen Kosten bei Menschen mit Diabetes und
Depression bei etwa 5.600 Euro – gegenüber rund 3.200 Euro bei Menschen
mit Diabetes aber ohne Depression“, so Andrea Icks. „Vor allem
Krankenhausaufenthalte sind hier ausschlaggebend, weniger die Kosten für
antidepressive Therapien und Psychotherapien.“ Menschen mit Diabetes und
gleichzeitiger Depression haben zudem tendenziell mehr
Arbeitsunfähigkeitstage als
Menschen mit Diabetes aber ohne Depression.
Alle zwölf Minuten denken Menschen mit Diabetes an ihre Erkrankung
Warum die Psyche bei Diabetes so stark leiden kann, erklärt Prof. Ulrike
Dinger-Ehrenthal, Chefärztin der Klinik für Psychosomatische Medizin und
Psychotherapie am LVR-Klinikum Düsseldorf und Direktorin des Klinischen
Instituts für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am
Universitätsklinikum Düsseldorf: „Diabetes ist eine Erkrankung, die keine
Pause kennt. Betroffene müssen täglich an ihre Erkrankung denken, ihren
Blutzucker kontrollieren, ihre Ernährung und Bewegung anpassen – und
gleichzeitig mit der Angst vor Folgeerkrankungen umgehen.“
Studien zeigen, dass Menschen mit Diabetes im Alltag alle zwölf Minuten an
ihre Erkrankung denken. Diese dauerhafte mentale Belastung kann zu
sogenanntem Diabetes-Distress führen – einer krankheitsbedingten
emotionalen Erschöpfung, die noch keine Depression ist, aber ein
Risikofaktor dafür werden kann.
Psychische Belastungen und Depressionen wirken sich auch auf den Verlauf
des Diabetes aus: Wer sich erschöpft, ängstlich oder hoffnungslos fühlt,
bewegt sich weniger, isst unregelmäßiger und hält Therapien seltener
konsequent ein. „Das beeinflusst Blutzuckerwerte, Komplikationsrisiken und
letztlich auch die Prognose“, erklärt Dinger-Ehrenthal.
Sie plädiert für mehr Prävention und Früherkennung: „Den Hausärztinnen und
Hausärzte sowie Diabetologinnen und Diabetologen kommt eine immens hohe
Bedeutung für das Screening nach psychischer Belastung zu. Hierbei helfen
standardisierte Screening-Fragebögen ebenso wie die offene Frage nach
Sorgen und Belastungen. Frühe Unterstützung, sei es durch Schulungen,
digitale Hilfsangebote oder durch ärztliche Gespräche im Rahmen
psychosomatischer Grundversorgung, kann viel bewirken – bevor eine
Depression entsteht.“
Wenn Menschen mit Diabetes merken, dass es ihnen seelisch nicht gut geht,
rät sie: „Sprechen Sie frühzeitig mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt,
tauschen Sie sich mit Betroffenen aus oder nehmen Sie niedrigschwellige
digitale Angebote in Anspruch. Je früher psychische Belastungen erkannt
und unterstützt werden, desto besser lässt sich eine Depression oder
Diabetes-Distress verhindern.“ Auch regelmäßige Diabetes-Schulungen, ein
gesunder Lebensstil mit ausreichend Schlaf, Bewegung und ausgewogener
Ernährung stärken die psychische Widerstandskraft.
Depression darf kein Tabuthema mehr sein
Wie groß die Hemmschwelle ist, über psychische Probleme zu sprechen, weiß
Norbert Kuster aus seiner Arbeit bei der Deutsche Diabetes-Hilfe NRW –
Menschen mit Diabetes – Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V.: „Viele
Betroffene trauen sich nicht zu sagen, dass sie depressiv sind oder sich
psychisch überfordert fühlen. Sie haben Angst, nicht ernst genommen zu
werden oder als schwach zu gelten.“
Kuster fordert mehr Offenheit und bessere Versorgungsstrukturen. Derzeit
gebe es deutlich zu wenige Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die
auf Diabetes spezialisiert sind. „Oft warten Betroffene ein Jahr oder
länger auf einen Therapieplatz und selbst dann kennen viele Therapeutinnen
und Therapeuten die besonderen Belastungen bei Diabetes nicht“, so Kuster.
„Wer versteht, was Hypo- oder Hyperglykämien bedeuten und wie anstrengend
die tägliche Selbstkontrolle ist, kann gezielter helfen.“
Dafür müsse das Thema schon in der psychotherapeutischen Ausbildung
verankert und durch gezielte Weiterbildungen gestärkt werden. „Nur wenn
wir Diabetes und psychische Gesundheit zusammendenken, fühlen sich
Betroffene verstanden und können offener mit ihrer Erkrankung umgehen“,
sagt Kuster.
